Adrienne Brodeur: Treibgut

Eigentlich sollte man sich dessen bewusst sein: Eine Familie ist stark und zerbrechlich zugleich. Alles hängt von aneinander ab und verändert sich. Unter anderem auch weil Familienmitglieder hinzukommen, während andere alt werden und irgendwann gehen.

Im zweiten Roman von Adrienne Brodeur steht die Familie Gardner gerade an einem Wendepunkt. Jeder von ihnen will auf seiner eigenen Spur bleiben und riskiert die immer größer werdende Distanz zu den anderen. Vielleicht wäre auch eine erneute Annäherung möglich. Hierfür müssten der alt gewordene Adam, sein Sohn Ken, der eine politische Karriere anstrebt und die Tochter Abby, die nie heiraten wollte und nun schwanger ist, jeweils ihre Perspektive und Gewohnheiten infrage stellen.

Über den Werdegang der amerikanischen Autorin Adrienne Brodeur erfährt man vor allen Dingen eines, ihr Leben ist erfüllt von der Literatur. Sie ist Geschäftsführerin der literarischen Organisation Aspen Words, war Mitbegründerin der Literaturzeitschrift Zoetrope und Lektorin in einem großen Verlag. Darüber hinaus schreibt sie Essays, die unter anderem in der Vogue und New York Times erschienen sind. Aktuell pendelt sie zwischen Cambridge und Cap Cod, wo ihre Familie wohnt.

Auf Cape Cod wohnt auch ihre Romanfamilie Gardner. Im Vergleich zu vielen anderen wohnen die Gardners ganzjährig auf der Halbinsel, einem exklusiven Urlaubsparadies mit langen Sandstränden, Wanderwegen und zahlreichen Angeboten für Freizeitaktivitäten. In diesem Ambiente lebt Vater Adam seinen Traum als Meeresbiologe, der Buckelwale quasi vor seiner Haustür passieren sieht. Ken plant Bauprojekte so erfolgreich, dass sein Reichtum für eine politische Karriere reicht. Auch Abby lebt ihren Traum als Künstlerin. Hierfür nutzt sie das Strandatelier, das ihre Mutter einst für sich gebaut hat. Abby ist die Einzige, deren finanzielles Fundament fragil und von dem guten Willen ihres Bruders abhängig ist. Diese Unsicherheit wird größer, nachdem die Geschwister ihre frühere Verbundenheit verloren haben.

Die Autorin versteht es, aus bekannten Elementen eine erfrischend neue Komposition zu schaffen. Kurzweilig, spannend und berührend begleitet man die Familie Gardner, fühlt mit und hofft mit ihnen auf einen guten Ausgang, während im Hintergrund der Zauber der Insel zu spüren ist.

„… Eine verborgene Wahrheit, mehr ist eine Lüge nicht. Cape Cod ist ein Ort, an dem Verborgenes an die Oberfläche kommt und wieder verschwindet: Hummerfangkörbe aus Holz, Wirbel von Buckelwalen, vom Meer polierte Glasscherben. … Blinzele, und dir entgeht ein Schatz. Blinzele noch einmal, und … die Wahrheit …“ kommt ans Licht. (Aus dem Roman Wild Game von Adrienne Brodeur, S. 11)

Adrienne Brodeur: Treibgut
Aus dem Englischen übersetzt von Karen Witthuhn
Kindler Verlag, April 2024
464 Seiten, Hardcover, 24,00 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

Teilen Sie den Beitrag mit Ihren Freunden und Kontakten:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.