Die siebzehnjährige Franka ist nachdenklich geworden. Sie versteht das Verhalten ihrer Eltern und das der Dorfbewohner immer weniger. Warum schweigen sich alle Männer über ihre Arbeit aus? Und warum schauen die Frauen lieber in den Kochtopf als aus dem Fenster? In dem sardischen Bergdorf Botigalli kennt jeder jeden. Und jeder weiß alles über den anderen. In dieser Tradition soll auch Franka ihren Platz in der Dorfgemeinschaft einnehmen. Doch wie kann sie an einem Ort glücklich sein, wo so viel Unrecht geschieht? Franka begehrt auf. Dass sie damit den Groll der Dorfbewohner gegen sich schürt, wird ihr erst bewusst, als alles zu spät ist.
Vierzig Jahre später reist Tilda nach Sardinien. Während die Maklerin ihr das Potenzial von Botigalli präsentiert, sieht sie einen unbewohnten Ort, der dem Verfall ausgesetzt ist. Für die Förderung der lokalen Wirtschaft habe die Gemeinde beschlossen, die Häuser für jeweils einen Euro zu verkaufen. Und wer sein Haus sanieren möchte, könne die Handwerker aus der Umgebung beauftragen. Am Ende, so der Plan, hätten alle etwas davon.
Tilda glaubt, ihre Besichtigung sei dem Zufall zu verdanken. Denn hätte sie den Zeitungsartikel über Botigalli nicht auf dem Schreibtisch ihres verstorbenen Vaters entdeckt, wäre ihre Flucht vor den Medien, ihren Schuldgefühlen und der Trauer anders verlaufen. Spontan kauft sie das Haus am Ende der Gasse und wie erhofft, beginnt mit der Arbeit im Haus ihr Genesungsprozess. Viel zu schnell tauchen neue Probleme auf.
Die Autorin Vera Buck schreibt in ihrem Nachwort, dass die Geschichte einer mutigen, jungen Frau aus Sizilien der Anlass zu ihrem Thriller Der dunkle Sommer war. „Franca Viola wurde Opfer einer Heiratsentführung – einer Tradition, die darauf beruhte, Frauen durch Entführung und Vergewaltigung zur Ehe mit ihren Peinigern zu zwingen.“ (S. 379)
Bis in die 1980-er Jahre erlaubte das italienische Strafrecht Männern Straffreiheit, wenn sie ihre Opfer zu einer „wiedergutmachenden“ Ehe motivieren konnten. Franca Viola leistete Widerstand bis zur letzten Konsequenz, während die Franca im Thriller auf eine andere Weise Widerstand leistet. Ihre Geschichte als zweite Erzählstimme aus dem Jahr 1968 zeigt, wie starr und einengend das Leben der Frauen gewesen sein muss.
Als Gegenpol erscheint vierzig Jahre später die ebenfalls eigensinnige Tilda aus Deutschland, die zweite Erzählstimme. Sie ist eine erfolgreiche Architektin, die für ihre Meinung einsteht und ihren Willen durchsetzt. Davon kann eine Siebzehnjährige natürlich nur träumen. In dem Alter sind noch viele andere Hürden zu nehmen. Was die beiden Frauen verbindet, ist Botigalli und die nicht enden wollenden Schwierigkeiten.
Der Autorin gelingt mit ihrer lebendigen Erzählkraft, das Schicksal dieser zwei Frauen miteinander zu verbinden. Die Macht der Männer, die Ohnmacht der Frauen bilden den Hintergrund eines Ereignisses, das zum Sterben des Dorfes geführt hat. Geschickt führt Vera Buck unterschiedliche Charaktere zu dem Schauplatz eines Verbrechens, der solange durch hartnäckiges Schweigen in seinem Dornröschenschlaf gefangen ist, bis Tilda eine aufrüttelnde Unruhe mitbringt.
Vera Buck: Der dunkle Sommer: Nur einer weiß, was in jener Nacht geschah.
Rowohlt Polaris, Mai 2025
384 Seiten, Taschenbuch, 17,00 Euro
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.