Titus Müller: Die fremde Spionin

1961 ist die DDR noch nicht abgeriegelt. West- und Ostberlin verkehren noch selbstverständlich miteinander. Aber es gibt sie schon, die fremde Denkweise in Ost und West. Die Konkurrenz, die sich an technischen Spielereien austobt und doch eine Konkurrenz der Systeme ist. Und es gibt sie auch  schon, die beiden Geheimdienste, die ständig im Wettstreit stehen und doch häufiger als geahnt die gleichen Spieler aufgestellt haben.

In dieser Welt lebt Ria. Schon ihre Eltern waren dem DDR-Regime nicht genehm, aber viel schlimmer ist, dass Ria im Alter von gerade 10 Jahren ihre Familie verlor. Die Eltern verhaftet, sie selbst und ihre kleine Schwester in getrennten Pflegefamilien untergebracht, ohne jeden Kontakt zueinander. Ihre Chance zur Rache erhält sie, als der BND sie rekrutiert. Ihre Chance zur Rache und vielleicht sogar die Gelegenheit, ihre Schwester endlich wieder zu finden.

Ria arbeitet im Ministerium für Außenhandel, dort soll sie für den BND spionieren, aber auch die Stasi hat bereits ein Auge auf die intelligente junge Frau geworfen. Der Agent Sorokin ist ihr auf den Fersen, hat jedoch auch schwer mit seinen eigenen Problemen zu kämpfen. Denn er ist verliebt. Undenkbar für einen Agenten mit Killerauftrag. Aber es ist so und Sorokin versucht alles Legale und Illegale, um die junge Frau und sein Baby zu beschützen und heiraten zu dürfen.

Sie erfahren beide etwas, das eigentlich nicht sein kann. Man kann doch keine Mauer mitten durch eine Stadt ziehen. Nicht ein ganzes Land von der Größe der DDR einfach dicht machen. Das kann nicht sein. So müssen sich Viele in diesem Roman entscheiden, was sie glauben und wo sie auf Dauer Leben wollen.

Der Roman von Titus Müller ist hervorragend recherchiert und katapultiert den Leser direkt in die 60ger Jahre. Die Ängste des kalten Krieges, die Befürchtungen vor Racheschlägen mit der neuen Atombombe, all das kommt wieder hoch. Da es außerdem ein Agentenroman ist, ist er auch noch hochspannend geschrieben. So blieb es trotz der vielen Fachinformationen ein Pageturner, den ich recht schnell durchgelesen hatte. Die Sprache ist nicht simpel, aber einfach genug, um das Buch gut weglesen zu können. Dazu trug sicherlich auch bei, dass es keine Schwarz-weiß-Malerei gibt. Titus Müller nimmt sich die Zeit, seinen Figuren Tiefe und Motivation zu geben, die über „aber das ist mein Land und ich liebe es“ deutlich hinausgeht. Zur Motiverklärung wendet er dann häufig recherchierte Tatsachen an und so lernt man ganz nebenbei noch was über die Wichtigkeit des Außenhandels oder warum Bananen zur Staatsaffäre werden können.

Erzählt ist der Romand multiperspektivisch, was zum Verständnis der Beweggründe der Handelnden sehr beiträgt.

Leider endet dieser erste Band, als Rias Familiengeschichte gerade so richtig in Fahrt kommt. Bleibt das Warten auf den zweiten Band.  Da zwischen den Bänden große Zeitsprünge liegen und der dritte und letzte 1989 spielen wird, bin ich auch sehr gespannt, wie sich Ria als ältere Frau entwickelt.

Fazit: Spannend erzählte Zeitgeschichte

Titus Müller: Die fremde Spionin.
Heyne, Juni 2021.
400 Seiten, Taschenbuch, 16,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Regina Lindemann.

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