Ingrid Noll: Tea Time

Ooops… i did it again! Niemand mordet so beiläufig, amüsant und abgeklärt wie Ingrid Nolls Protagonistinnen. Da macht auch ihr neuester Roman keine Ausnahme. Ruckzuck laufen aberwitzige Alltagssituation aus dem Ruder und die (Anti-) Heldinnen improvisieren mit drastischen Maßnahmen. Das liest sich einfach rundum köstlich! Erst recht, wenn Noll in „Tea Time“ ihre sechs Protagonistinnen mit derart aberwitzigen Marotten ausstattet. Fransenfimmel, kokonartige Schlafrituale, das Deuten von „Wolkenhoroskopen“ oder das Bedürfnis, in fremde Häuser einzudringen: Die Freundinnen haben nicht umsonst den „Club der Spinnerinnen“ gegründet.

Schon seit Jahrzehnten zeigt die deutsche Autorin Ingrid Noll, dass Krimis wunderbar ohne Blut, Gemetzel oder Psychosen auskommen. Ihre Werke überzeugen durch Köpfchen und Charme. Und einer hinreißenden Beobachtungsgabe für die kleinen Absurditäten des Alltags, die jede Menge unvermuteten Sprengstoff bieten. So auch in diesem Fall… Weiterlesen

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Monika Helfer: Vati

Monika Helfers Familienchroniken sind eine Extraklasse für sich. Kein Wunder, dass die aus dem Bregenzerwald stammende Autorin in den letzten Jahren Dauergast auf den Shortlists diverser Buchpreise war und 2021 den Schubart-Literaturpreis für „Die Bagage“ gewonnen hat. Während jener Roman das Leben ihrer Großeltern in den Bergen beleuchtet, denen die Kombination aus Armut, Schönheit und einem fatalen Gerücht beinahe zum Verhängnis wird, schildert „Vati“ das Leben ihrer Mutter (dem scheinbaren Bastard) und dem Mann, den Sie heiratet – dem titelgebenden Vater. Dieser Mann prägt die Autorin bis heute, nicht nur weil sie von ihm die Liebe zur Literatur vererbt bekam. Der Vater ist eine von Widersprüchen gekennzeichnete Person und dabei gleichzeitig ein Sinnbild für eine Generation sinnsuchender Männer nach dem Zweiten Weltkrieg. Ein Roman, leise und liebenswert und dabei doch kraftvoll und wuchtig zugleich!

Der Vater stammt aus ärmlichen Verhältnissen. Jede Nacht muss das Wasser in den Schalen aufgegossen werden, in denen die Bettfüße stehen, damit kein Ungeziefer unter die Decken krabbelt. Früh zeigt der Vater jedoch besondere Geistesgaben, vor allem seine Liebe zur Literatur, die durch einen Gönner gefördert wird. Später verliert der Vater im Zweiten Weltkrieg ein Bein, gewinnt aber eine Frau. Monika Helfers Mutter hat im Kriegslazarett gearbeitet. Eine „Versehrtenliebe“. Nach ihrer Hochzeit ziehen sie zunächst auf den ärmlichen Hof der Bagage, später erhält der Vater einen Posten als Leiter eines Kriegsversehrtenheims oben auf der „Tschengla“, wo der Berg ruft, die Luft sauber und die Idylle perfekt ist. Weiterlesen

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Thilo Falk: Dark Clouds

Spannend und schockierend, weil mittlerweile von der Realität eingeholt. Autor Thilo Falk skizziert ein wetterbedingtes Katastrophenszenario, das in Ansätzen zum Beispiel im Ahrtal ersichtlich wurde. Nur dass es in seiner Version ganz Europa betrifft. Nach wochenlangem Dauerwegen, Stürmen und heftigen Gewittern stehen nicht nur verschiedene Regionen unter Wasser, auch die kritische Infrastruktur droht zusammenzubrechen. Das Grund- und Leitungswasser ist kontaminiert, Handy- und Stromverbindungen sind unterbrochen, es kommt zu Lieferengpässen und den gefürchteten „Blackouts“. Was das für Folgen haben kann, liest sich schlimm. Daneben baut der Roman allerdings eine politische Komponente mit ein. Auch bei den größten Katastrophen gibt es Personen und Gruppen, die daraus Kapital schlagen. Drei mutige Personen versuchen in „Dark Clouds“ nicht nur den Regen zu stoppen, sondern auch die dahinter liegenden Machenschaften aufzudecken.

Da ist zum einen die Nephologin beziehungsweise Wolkenkundlerin Fjella Lange, welche bereits seit geraumer Zeit dafür kämpft, die Bevölkerung für die Folgen des Klimawandels zu sensibilisieren. Da ist aber auch der Schadengutachter Philip Graf, der vor allem Gebäude der kritischen Infrastruktur rund um Wasser- und Atomkraftwerke begutachtet und dabei einige Ungereimtheiten entdeckt hat. Weiterlesen

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Helga Schubert: Lauter Leben

Einfach genial: Die 2020 mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnete Autorin beherrscht nicht nur Kurz-, sondern auch Kürzestgeschichten. Unglaublich, wieviel Leben sie auf eine Seite packen kann. Helga Schubert hat den Blick für die kleinen Spitzen des Alltags, für das Außergewöhnliche im Gewöhnlichen. Bei diesem Erzählband handelt es sich um Schuberts Frühwerk, ihrem ersten Erzählband aus dem Jahr 1975. Obwohl ihre Geschichten vor 47 Jahren in der damaligen DDR spielen, wirken sie erstaunlich zeitlos. Ob Single-Frauen, Haustiere, Affären, Theaterinszenierungen HINTER dem Vorhang, das Verhalten von Menschen auf Seminaren – die Autorin überwindet im wahrsten Sinne des Wortes Mauern und Dekaden. Witzig, hintergründig, großartig!

„Er sitzt an der Bar. Mit einem nackten Gesicht. Wimpern und Augenbrauen und Haare haben eine Tarnfarbe.“ (S.41). Mit wenigen Worten macht Schubert einen Charakter lebendig, bei dem wir von Anfang an ahnen, dass seine Flirtversuche zum Scheitern verurteilt sind. Sprachlich virtuos löst die Autorin in nur eineinhalb Seiten den Titel der Erzählung „Taube Ohren“ auf. Durch ein geschmeidiges Stakkato an kurzen, treffsicheren Sätzen.

Zum Niederknien komisch ist die Erzählung „Der Hund“. Ein Kind möchte einen Hund als Haustier, was die Eltern aus verschiedenen Gründen nicht billigen. Nun wird es mit einem Ersatztier – genauer: zwei Vögeln – abgespeist. Mit mäßigem Erfolg. Ihr schlechtes Gewissen treibt sie zu weiteren Anschaffungen tierischer Art. Die Lage eskaliert. Weiterlesen

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Michael Bremmer & Veronika Grüning: Gangs of Katzenstadt

Katzenkrimis sind süß? Von wegen! Kaum den Roman aufgeschlagen, bleibt Fans der kuscheligen Felinen sofort die Luft weg: Denn in der allerersten Szene wird Kater Matula mit einem Beil die Pfote abgehackt! Als Warnung für andere Katzen. Schon sind wir LeserInnen im Plot gefangen, der bis zur letzten Seite sein hohes Spannungstempo hält. Dafür ist zum einen der ungewöhnliche Schreibstil in kurzen, dynamischen Szenen verantwortlich. Zum anderen die Geschichte und ihre cleveren, vierbeinigen Akteure. Diese wachsen beim Lesen sofort ans Herz. Den Zweibeinern sind sie in puncto Ideenreichtum überlegen. In Sachen Zivilcourage sowieso. So steckt in dem Roman weit mehr, als ein Katzenkrimi (oder eher: Thriller). Nicht nur für Tierliebhaber ein absolutes Muss!

Einst war Katzenstadt ein blühender Ort. Ein Paradies für Katzen. Dies lag an der erfolgreichen Katzenfutterfabrik. Der nette Geschäftsführer nahm ein paar Tiere bei sich auf, darunter die Schwestern Bandini und Bonnie. Es ging ihnen gut. Bis ihr Herrchen unter mysteriösen Umständen ums Leben kam. Schlimm genug, dass die Fabrik daraufhin geschlossen wurde und die Stadt dem wirtschaftlichen Niedergang geweiht war. Eine mediale Hetzkampagne gab den „Bestien“ die Schuld an seinem Tod und weiterer Verbrechen. In der Folge verließen immer mehr Einwohner den Ort, ohne ihre Vierbeiner. Die okkupierten nach und nach die Stadt. Die Katzengang rund um Bandini und Bonnie ließ sich in der Futtermittelfabrik nieder, andere Katzengangs im Stadtpark, der Bücherei (die Katzen aus Intellektuellenhaushalten) oder auf der Müllhalde (die anarchischen Aussteigerkatzen). Weiterlesen

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Alexa Hennig von Lange: Die karierten Mädchen

Die karierten Mädchen: Jene fesch im karierten Dirndl auflaufenden jungen Frauen erhalten im Waisenhaus Oranienbaum eine Hauswirtschaftsausbildung, bekochen und beaufsichtigen die kleinen Bewohner. Zwar versucht die junge Lehrerin Klara, ihren Schützlingen Individualität beizubringen, doch steht dies im größtmöglichen Gegensatz zu den Lehren des Nationalsozialismus. Hier soll die Frau dem Führer vor allem reinrassige deutsche Kinder schenken. Und die Dirndl? Nun ja, der Führer liebt Bayern und sein Kehlsteinhaus bei Berchtesgaden.

Die 93-jährige blinde Klara beginnt, die verdrängten Ereignisse ab 1929 auf Kassetten aufzusprechen. Nicht einmal ihre vier Kinder wissen vom dunklen Fleck ihrer Vergangenheit. Als junge Frau in Oranienbaum ist sie noch voller Träume. Beseelt von dem Gedanken den verwaisten und kranken Kindern eine bessere Zukunft zu bieten. Und den jungen Hauswirtschafterinnen aufzuzeigen, dass es für sie eine selbstbestimmte Zukunft abseits von Hochzeit und Unterwerfung geben kann. Doch ein Ereignis bringt die pflichtbewusste Klara dazu, die Regeln zu brechen. Weiterlesen

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Mariana Leky: Kummer aller Art

Es sind nicht die großen Probleme, sondern die kleinen Ängste, Neurosen, Spleens, welche in diesen herrlichen Kolumnen für Kummer aller Art sorgen. Die einen plagt die Schlaflosigkeit, andere trauen sich nicht in den Aufzug hinein. Manche haben Probleme damit, Entscheidungen zu fällen, lassen das Für und Wider so lange gegeneinander antreten, bis einer von beiden „erschöpft aus der Arena getragen wird und man mit einer ganz zweifellosen Entscheidung dastehen kann.“ (S. 158) Andere müssen genau 12-mal prüfen, ob der Herd ausgeschaltet ist, bevor sie das Haus verlassen. Die Autorin befürchtet, dass sie ihren Hund nicht genug liebt, während die Psychologin einer cremefarbenen Praxis ein genauso farbloses Leben führt. Eine 16-Jährige hat kein Freizeitleben mehr, denn ihr Ex-Freund hat alle Aktivitäten mit Erinnerungen kontaminiert. Lekys Protagonisten verlieren die Contenance, wenn sich an der Kasse jemand vordrängelt oder die Nachbarn zu laut sind. Aus dem Nichts kann der Kummer über einen hineinbrechen, aber genauso schnell wieder verschwinden.

Die 39 literarischen Kolumnen wurden erstmals in der Fachzeitschrift „Psychologie heute“ veröffentlicht und von der Autorin für dieses Buch überarbeitet. Es gelingt Leky meisterlich, empathisch auf menschliche Probleme einzugehen, diesen mit humoristischer Beobachtungsgabe zu begegnen und dabei stets den richtigen Ton anzuschlagen. Kein Wunder, dass die Autorin diesen Spagat so gut beherrscht: Sie wurde als Tochter einer Gesprächstherapeutin und eines Gefängnispsychologen in Köln geboren. Man merkt, dass sie sich mit Kompensationsstrategien und Verhaltenstherapien bestens auskennt, allerdings transportiert sie diese äußerst unterhaltsam, statt belehrend. Weiterlesen

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Helene Hegemann: Schlachtensee

Titel und Buchcover sagen eigentlich schon alles: Hier darf sich die Leserschaft auf ein literarisches Happening an gewagter, ebenso brutaler wie bissig-burlesker Prosa gefasst machen. In der aber immer ein Hauch Empathie zu den Figuren durchschimmert, mit denen die Autorin wahrlich nicht zimperlich umgeht. Mit dem Titel verweist die in Berlin lebende Autorin nicht auf den Schlachtensee in Steglitz-Zehlendorf, der an keiner Stelle erwähnt wird. Es sind vielmehr die Schlachten, in die ihre Endzwanziger-Protagonisten ziehen und an deren Wendepunkten häufig Gewässer eine bedeutende Rolle spielen. Mal erfährt eine Surferin von der Krebserkrankung ihres Vaters und erlebt eine eigene Nahtoderfahrung im Wasser. Mal findet eine toxische Beziehung zu einem reichen Oligarchen durch ein Bad in der Wolga ein unerwartetes Ende. Mal mündet ein nächtlicher See-Ausflug in einer homoerotisch-verwirrenden Sequenz, durch die Wildscheine ziehen. Oder auch nicht. Hegemanns „Schlachtensee“ ist ein Werk, irgendwo zwischen genial, grotesk und unbequem. Weiterlesen

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JP O’Connell: Hotel Portofino

Spätestens seit der Erfolgsserie „Downton Abbey“ boomen Liebesränke, Intrigen und gesellschaftspolitische Umwälzungen der 20er Jahre vor malerischem Hintergrund. Ein ebensolcher wurde in diesem Roman gefunden: Das heute noch beim Jetset beliebte Fischerdorf Portofino an der ligurischen Riviera. Entlang des Küstenabschnitts haben sich seit dem 19. Jahrhundert wohlhabende Engländer niedergelassen, dabei malerische Villen, Gärten und Vergnügungsstätten wie das Casino in San Remo hinterlassen. Mit einer exklusiven Villa hat Bella Ainsworth sich einen Traum erfüllt und ein eigenes Hotel eröffnet. Die äußerst diverse Gästeschar bietet Raum für amouröse sowie kriminelle Verwicklungen aller Art.

Bella Ainsworth hat sich einst in ihren Flitterwochen in Italien verliebt. Im Jahr 1926 erfüllt sich die attraktive Endvierzigerin ihren großen Traum und zieht mit der ganzen Familie nach Ligurien, um dort ein mondänes Hotel in einer alten Villa zu eröffnen. Doch innerfamiliär brodeln Konflikte: Ehemann Cecil geht dem „Beruf“ des Gentlemans nach und hat mit harter Arbeit nichts am Hut. Stattdessen lebt er auf Pump, verprasst das Vermögen von Bellas Vater. Bellas Selbstverwirklichung ist ihm ein Dorn im Auge. Die britische Upperclass arbeitet nicht, sondern lässt arbeiten. Tochter Alice ist eine junge Kriegswitwe und dadurch trotz ihrer reizenden Tochter Lottie äußerst verbittert geworden. Weiterlesen

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Erik Fosnes Hansen: Zum rosa Hahn

Eine spionierende Katze, eine sprechende Warze, jammernde Brotteige, Kissen mit Schlafdrüsen, politisch aktive Mäuse – und von den kuriosen Zweibeinern wollen wir gar nicht erst anfangen! In Erik Fosnes Hansens fantastischer Welt ist nichts unmöglich. Fast möchte man das Hirn des Autors unters MRT legen, um herauszufinden, woher er seine genial-grotesken Einfälle bezieht. Selbst Folter und Armut werden hier so wahnsinnig komisch erzählt, dass es ein Vergnügen ist, den Ausschweifungen des Autors zu folgen.

„Zum rosa Hahn“ heißt eine Pension samt Wirtschaft, in der zwei Goldmacher in der Stadt Jüterbog, irgendwo in der Nähe von Potsdam, absteigen. Rosa ist die Lieblingsfarbe der jungen Herrscherin Clothilde, folglich erhält so ziemlich alles diesen Anstrich. Der alte Goldmacher drängt darauf, die seltene Kunst der temporären Goldverwandlung vor großem Publikum vorzuführen, während sein junger Kollege eigentlich nach Cottbus weiterwandern will, wo ein Mädchen auf ihn wartet, dessen Vagina gut zu seinem kleinen Penis passt. Die haarsträubende Bürokratie in Jüterbog, spionierende Haustiere, zwielichtige Fischhändler, ein gemeingefährlicher Junge, ein sterbenskrankes Mädchen und weitere merkwürdige Gestalten sorgen jedoch dafür, dass alles aus dem Ruder läuft. Statt in Ruhe die Spezialität des Hauses, den Goldhirsch, zu genießen, gerät der junge Uhrmacher in ein Komplott aus Umsturzversuchen und Anarchie. Weiterlesen

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