Bernardine Evaristo: Zuleika

Grotesk, genial, genreübergreifend. Was Booker-Prize Trägerin Bernardine Evaristo da zu Papier gebracht hat, fordert Lesegewohnheiten heraus und feiert die Fabulierkunst in all ihren Facetten.Zuleika liest sich so, als ob eine Rapperin Aristoteles und Shakespeare zu einem literarischen Stelldichein einladen würde. Die Form des Plots ist in Versen, in Paarzeilen, mit Enjambements (Zeilensprüngen) geschrieben.

Evaristo springt nicht nur durch Genres und Zeilen, sondern durch ganze Geschichtsepochen. Der Roman spielt in London des Jahres 211 n. Christus. Doch Zuleika kommentiert ihre Umgebung so rotzfrech und modern, dass der Plot genauso gut von einer Influencerin im heutigen New York verfasst sein könnte. Ein herausragendes Werk, welches beweist, dass Sprache auch im Zeitalter von ChatGPT noch richtig Spaß machen kann.

Eine sprachliche Ideenorgie!
In Londinium anno 211 nach Christi Geburt ist Zuleika ein Eyecatcher. Die Tochter nubischer Einwanderer lässt als „bellanegrita“ all die Kelten, Pikten und Barbaren im wahrsten Sinne des Wortes verblassen. Gemeinsam mit ihrer besten Freundin Alba streift sie durch ihr Ghetto, treibt anarchische Späße und hängt am liebsten bei ihrer Freundin Venus rum, die als Transfrau ein Bordell leitet. Ihre Welt ist im Umbruch, Verschwörungstheorien samt Viagra zirkulieren schon damals durch die Marktplätze der Welt. Das liest so:

„… auf ihren Holzkisten, von denen Sie vom Niedergang
des Imperiums prophezeiten und dass das Christentum

schon bald gen Westen komme werde, Witze über
jungfräuliche Geburten rissen und darüber,

wie man über Wasser ging, ohne nasse Füße,
über die zehn besten Wege vom Tode aufzuerstehen,

oder auch Jupiter zur Frau erklärten, behaupteten
rohe Eier führten zu ausdauernden Ständern,

oder mit Papyrusplakaten wedelten, die vom
Weltuntergang im Jahr 300 kündeten – das alles

vor großem Publikum, das nicht mit eifrigem Einsatz
von Gammelfisch und Schweinsgedärmen geizte.“(S. 51)



Zuleikas Vater, der von Wohlstand und Aufstieg träumt, verheiratet sie im zarten Alter von 11 Jahren mit dem wesentlich älteren Römer Lucius Aurelius Felix. Einerseits sitzt Zuleika nun im goldenen Käfig ihrer Villa, andererseits erhält sie erstmals Zugang zu Bildung. Sie lernt Latein und die antiken Philosophen. Für Zuleika, die in der Ehe keine Erfüllung findet, steht fest: Sie möchte Dichterin werden.

Ihr Ehemann ist im Auftrag des Imperators immer häufiger monatelang auf Reisen unterwegs. So entgeht ihm, wie Zuleika erstmals ihr Herz verliert. An niemand geringeren als Kaiser Septimus Severus. Damit beginnt Zuleikas sexuelle und geistige Emanzipation vom Patriarchat. Gemäß dem Motto „Militat Omnis Amans“. Sprich: Krieger ist jeder, der liebt.

Geschichte neu präsentiert von der Booker Prize Trägerin
Bernardine Evaristo ist nicht nur ein sprachlicher Geniestreich gelungen. Ihr Plot strotzt nur so vor gewagten Ideen und schwarzhumorigen Szenen. Knochentrocken kommentiert Zuleika, wie sie ihre rothaarigen, dreckverschmierten Sklavinnen aus den wilden Nordwäldern zu fügsamen Dienerinnen domestiziert. Wenn sie mit der transsexuellen Venus und der promiskuitiven Alba über Männer debattiert, fühlt man sich an Sex & the City erinnert. Ein absolutes Gagfeuerwerk ist Zuleikas erster veranstalteter Poetry Slam, der etwas anders abläuft als erwartet.

Stilistischer Mix aus Antike und Moderne
Selbstredend haben all die Pointen und Sprachfiguren einen doppelten politischen Boden und einen ernsthaften geschichtlichen Hintergrund. Bernardine Evaristo, die als erste schwarze Autorin für ihren Roman „Mädchen, Frau etc.“ mit dem Booker Prize ausgezeichnet wurde, schafft es, dies intelligent zu verpacken. Antike Zitate, moderne Redewendungen – gewagt ins Lateinische übersetzt wie „Domun Dolce Donum – Home Sweet Holme“ (S. 246) – und natürlich Zuleikas lyrische Gedichte runden das Geschehen ab. So befinden wir uns beim Lesen in einer faszinierenden Welt zwischen Heute und Gestern, Moderne und Antike.

Fazit: Eine literarische Ideenorgie, die sogar die alten Römer begeistert hätte. Bisweilen werden gar Erinnerungen an Monty Pythons „Das Leben des Brian“ geweckt. Wer Sprache liebt und gegenüber kreativen Stilbrüchen offen ist, wird von Zuleika begeistert sein. Oder wie man im Kolosseum sagen würde: Daumen nach oben.

Bernardine Evaristo: Zuleika.
Aus dem Englischen übersetzt von Tanja Handels.
Tropen, März 2024.
264 Seiten, Hardcover, 25,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.

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