Mariana Leky: Kummer aller Art

Es sind nicht die großen Probleme, sondern die kleinen Ängste, Neurosen, Spleens, welche in diesen herrlichen Kolumnen für Kummer aller Art sorgen. Die einen plagt die Schlaflosigkeit, andere trauen sich nicht in den Aufzug hinein. Manche haben Probleme damit, Entscheidungen zu fällen, lassen das Für und Wider so lange gegeneinander antreten, bis einer von beiden „erschöpft aus der Arena getragen wird und man mit einer ganz zweifellosen Entscheidung dastehen kann.“ (S. 158) Andere müssen genau 12-mal prüfen, ob der Herd ausgeschaltet ist, bevor sie das Haus verlassen. Die Autorin befürchtet, dass sie ihren Hund nicht genug liebt, während die Psychologin einer cremefarbenen Praxis ein genauso farbloses Leben führt. Eine 16-Jährige hat kein Freizeitleben mehr, denn ihr Ex-Freund hat alle Aktivitäten mit Erinnerungen kontaminiert. Lekys Protagonisten verlieren die Contenance, wenn sich an der Kasse jemand vordrängelt oder die Nachbarn zu laut sind. Aus dem Nichts kann der Kummer über einen hineinbrechen, aber genauso schnell wieder verschwinden.

Die 39 literarischen Kolumnen wurden erstmals in der Fachzeitschrift „Psychologie heute“ veröffentlicht und von der Autorin für dieses Buch überarbeitet. Es gelingt Leky meisterlich, empathisch auf menschliche Probleme einzugehen, diesen mit humoristischer Beobachtungsgabe zu begegnen und dabei stets den richtigen Ton anzuschlagen. Kein Wunder, dass die Autorin diesen Spagat so gut beherrscht: Sie wurde als Tochter einer Gesprächstherapeutin und eines Gefängnispsychologen in Köln geboren. Man merkt, dass sie sich mit Kompensationsstrategien und Verhaltenstherapien bestens auskennt, allerdings transportiert sie diese äußerst unterhaltsam, statt belehrend.

Ein Beispiel: Wer jemals an Meditation gescheitert ist, dürfte an der Episode „Bruder Innerlich“ seine helle Freude habe. Gemeinsam mit ihrem Kumpel Achim bricht die Autorin einen Meditationskurs ab, denn: „Wenn ich auf Anweisung in mich hineinspüren soll, verlaufe ich mich meistens und lande irgendwo obenrum in den Gedanken, die dann ihre Stimme verstellen und vorgeben, das wahre Selbst zu sein, und mich ausführlich anpampen.“ (S. 20)

 

Zum Niederknien ist die Episode „Die Nächte, in denen wir nicht schliefen“. Herrlich abgeklärt schildert die Autorin die verschiedenen Phasen der Schlaflosigkeit, die sie selbst nur zu gut kennt: der Versuch, gegen die Schlaflosigkeit anzulesen (was leider nur mit langweiligen Büchern geht, die man aber nicht im Haus hat) – der Versuch, sich auf den Atem zu konzentrieren – der Versuch, Schäfchen zu zählen – die Missgunst auf alle, die gerade problemlos schlummern (bis hin zur Katze) – die Phase, in der die Sorgen zu schlagen („Bei Übermüdung kommt einem die Verhältnismäßigkeit abhanden: Alles ist plötzlich gleich furchtbar, die Weltlage genauso wie die unbeglichene Rechnung der GEZ“. S.17) – die Phase der inneren Mahnungen (weniger Rauchen, mehr Sport, die unglückliche Tante Traudl zurückrufen) – die Phase der dumpfen Resignation.

Ein weiteres Ass im Ärmel sind die liebevoll skizzierten Protagonisten. Der hilfsbereite Nachbar Herr Pohl, der unter Platzangst leidet, unverhofft mit philosophischen Offenbarungen glänzt und dessen kleiner Hund bei jedem Wetter zittert. Die Obermieterin Frau Wiese, die Angst vor Konflikten hat und ihre Verliebtheit durch Panikattacken ausdrückt. Onkel Ulrich, pensionierter Psychiater, der seinen Mitmenschen immer noch durch ungebetene kernige Aussagen auf die Pelle rückt. Mit jeder Geschichte schließt man sie mehr ins Herz, mit all Ihren schrulligen Eigenheiten.

Fazit: Ein hinreißendes Buch, über die kleinen Absurditäten des Alltags, die uns zum Straucheln bringen. Über Ihnen hängt der Novemberblues – unabhängig von der Jahreszeit? Sie haben Freunde, die dringend einer Aufmunterung bedürfen? Dann ist dieses kurzweilig-kluge Buch genau das Richtige für Sie. Episode für Episode wird sich Ihre Laune bessern, garantiert! Alle anderen werden sich ohnehin köstlich über die literarischen Kurzepisoden amüsieren. Und sich bestimmt in der einen oder anderen wiedererkennen.

Mariana Leky: Kummer aller Art.
DuMont Buchverlag, Juli 2022.
176 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.

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