#Eine Familiengeschichte, ein Psychogramm, eine Zeitreise – all das ist der neue Roman von Volker Jarck. Und dazu ist er wieder ganz wunderbar geschrieben, auf eine fast poetisch Art, mit fein ziselierten Sätzen.
Von seinem Debüt „Sieben Richtige“ war ich vollkommen begeistert. Dieser Autor kann einfach schreiben, formuliert auf jeder Seite Sätze, die man sich an die Wand pinnen und auswendig lernen möchte. „Was da jetzt noch schwer erkennbar zappelte, würde demnächst atmen, gleich danach trinken, und dann könnte es schnell gehen – zwischen Stehen, Sprechen, Gitarre oder Klavier spielen
und der Abifahrt lägen gerade mal tausende von Sekunden oder Tagen, nur ein Windstoß in der Zeit.“ (S. 67).
In diesem neuen Roman lernen wir die Geschwister Katja, Milena und Leon kennen. In ihrem heutigen Leben und in vielen, nicht chronologisch erzählten Rückblicken auf ihre Kindheit und Jugend, auf ihr familiäres Beziehungsgeflecht, ihre Träume und die bittere Realität. Das erfordert Konzentration, wechseln doch die Zeitebenen oft sehr abrupt, ebenso wie die Perspektiven. Folgen wir eben noch Katja, die die Trennung von ihrem Mann verwinden und mit dieser Situation im dörflichen Umfeld umgehen lernen muss, so erleben wir einen Absatz weiter Milena, die eine Fernbeziehung führt und das gerne ändern möchte, ohne dabei ihr eigenes Leben und ihre Pläne aufzugeben.
Dazwischen leiden wir mit Leon am Leben überhaupt. Er, der Notfallsanitäter, hat den Blick für die kleinen und großen Wunden der Menschen und geht daran fast zugrunde. Er hat die größte räumliche und emotionale Distanz zu den Eltern, zu der Familie und dem Dorf am Meer.
All das erzählt Volker Jarck mit diesen fulminant gewählten Worten, mit Bildern, die ganz tief unter die Haut gehen, mit Vergleichen und Metaphern, die so präzise sind, dass es kein Missverstehen geben kann. „›Früher‹, überlegte er auf dem Weg zum Supermarkt, während er den Geldschein zwischen den Fingern zerknitterte, das ist die Zeit, die zu Ende geht, wenn das Kinderzimmer nicht mehr nach Chips und Socken riecht. ›Früher‹ war vorbei an dem Tag, an dem Leon sein Zimmer zum ersten Mal als Wochenendgast betrat.“ (S. 102)
Dabei geschieht im Grunde nicht viel, die Handlung spielt sich wie gesagt auf diversen Zeit- und Ortsebenen ab. Doch die Figuren sind hier das zentrale Element, viel mehr als jeder Plot. Sie werden durch ihre Aktionen, ihre Sprache, ihr Schweigen und Denken gezeichnet und dadurch so lebendig und authentisch, dass man sie vor sich zu sehen meint.
„Robuste Herzen“ ist keine Unterhaltungsliteratur, kein spannender Roman, aber ein wunderbares Buch.
Volker Jarck: Robuste Herzen.
S. Fischer, August 2022.
336 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Renate Müller.