Isabel Allende: Der Wind kennt meinen Namen

Die inzwischen über achtzigjährige, weltberühmte chilenische Schriftstellerin Isabel Allende schreibt und schreibt und schreibt. Am 15. April 2024 ist ihr neuer Roman „Der Wind kennt meinen Namen“ im Suhrkamp Verlag erschienen. Svenja Becker übersetzte ihn aus dem Spanischen.

Von 1938 bis 2020 – Flucht vor Terror und Gewalt

Isabel Allende erzählt in „Der Wind kennt meinen Namen“ die Geschichte zweier Kinder, die ihre Eltern verlieren. Da ist zum einen der sechsjährige Samuel Adler, der Sohn eines jüdischen Arztes, der 1938 mit einem Kindertransport aus dem österreichischen Wien nach England gebracht wird, um ihn vor den Nazis zu retten. Er wächst in England bei Pflegefamilien auf und sieht seine Eltern nie wieder. Dafür entdeckt er seine Leidenschaft für die Musik. 1958 geht er nach New Orleans, um sich mit Jazz zu beschäftigen. Dort lernt er Nadine LeBlanc kennen und heiratet sie später. Sie leben in einer alten Villa in Berkeley, wo Samuel an der Universität lehrt und Nadine ihren künstlerischen Neigungen folgt.

2019 fliehen die sehbehinderte, siebenjährige Anita Díaz und ihre Mutter Marisol vor der Gewalt in El Salvador in die USA. An der Grenze werden die Kinder von ihren Eltern nach dem Willen der Trump-Regierung getrennt. Anita kommt in staatliche Obhut, erhält aber Hilfe von Selena Durán, die sich in der Flüchtlingshilfe engagiert und Frank Agileri, einem erfolgreichen Rechtsanwalt. Sie begeben sich auf die langwierige Suche nach Anitas Mutter.

Ein Jahr später kreuzen sich die Wege des inzwischen alten Samuel Adler, dessen ebenfalls geflüchtete, salvadorianische Haushaltshilfe Leticia während der Pandemie in die alte Villa gezogen ist, mit der jungen Anita Díaz. Und beide finden so etwas wie eine Familie wieder.

Vom „Geisterhaus“ zum „Spukhaus“

„Ein Unglück lag in der Luft. Seit dem frühen Morgen fegte der Wind unstet durch die Straßen, pfiff um die Häuser und drang durch die Ritzen von Türen und Fenstern.“ (S. 11). Ein Romananfang à la Isabel Allende. Und sie hat sich in „Der Wind kennt meinen Namen“ viel vorgenommen: von der Judenverfolgung der Nazi-Zeit bis zur aktuellen Gewalt und dem Terror in den mittelamerikanischen Staaten mit den Flüchtlingsbewegungen Richtung USA. Ihr Augenmerk gilt dem Schicksal der Kinder in diesen Zeiten. Aber für diese großen Themen und die beinahe ein ganzes Jahrhundert umspannende Geschichte sind die 335 Seiten des Romans knapp bemessen. Für die Einbindung der Erzählung in die geschichtlichen Kontexte und für die Beschreibung der berührenden Schicksale von Samuel und Anita wären mehr Buchseiten wünschenswert gewesen. So gerät die Geschichte etwas atemlos und wird zusätzlich mit der Liebelei von Flüchtlingshelferin Selena und Rechtsanwalt Frank überfrachtet. Nichtsdestotrotz, Isabel Allende schreibt mit aktuellen und historischen Bezügen, und sie legt erzählerisch den Finger in die Wunden der Welt. Der magische Realismus bleibt ihr Markenzeichen. Das „Geisterhaus“ von Esteban Trueba und Clara del Valle aus ihrem ersten großen Roman findet im „Spukhaus“ von Samuel Adler und Nadine LeBlanc seine (weitaus weniger ausschweifende) Fortsetzung.

Isabel Allendes „Der Wind kennt meinen Namen“ hätten ein paar mehr Seiten gutgetan und etwas weniger Altersmilde genützt. Doch Isabel Allende ist und bleibt eine großartige Erzählerin.

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Isabel Allende: Der Wind kennt meinen Namen.
Aus dem Spanischen von Svenja Becker.
Suhrkamp Verlag, 15. April 2024.
335 Seiten, Gebunden, 26,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.

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