Die gläserne Wand war überall. Maddie und Julie lebten auf der einen Seite, die eine in England, die andere auf einem schottischen Schloss. Trotzdem hatten sie etwas Gemeinsames: Sie sahen beide, was auf der anderen Seite der gläsernen Wand geschah. Sie sahen, wie Männer mit einer Selbstverständlichkeit ihre beruflichen Perspektiven ausloteten.
Dann kam der Zweite Weltkrieg. Die gläserne Wand öffnete sich für mutige Frauen. Die technik- und motorenbegeisterte Maddie durfte endlich ihren Traumberuf, den einer Pilotin, erlernen. Und Julie entdeckte für sich das Agentenleben. Sie liebte es, in unterschiedliche Rollen zu schlüpfen. Die beiden ungleichen jungen Frauen lernen sich während ihrer Ausbildung kennen und schätzen. Es folgten die ersten Einsatzbefehle. Aus der Theorie des Krieges wurde blutiger Ernst.
Die in den USA geborene Autorin Elisabeth Wein lebt in Schottland. Ihr bevorzugtes Genre sind historische Romane. 2012 erschien erstmalig ihr Roman Code Name Verity. Über diesen sagte sie, er sei ihr bester. Sie habe in die abenteuerliche Geschichte zweier Freundinnen ihre ganzen Gefühle hineingelegt. Die Kritiker müssen dies ähnlich gesehen haben, denn die Autorin erhielt für dieses Buch Preise und Auszeichnungen. 2020 kam es anlässlich des Welttages des Buches auf Platz 1 der Bestsellerliste der New York Times.
Das Fesselnde an diesem Roman ist die Kombination von tiefer Verbundenheit der beiden Freundinnen und tödlicher Gefahr. Maddie erklärt an einer Stelle: „Wir hatten sogar denselben Traum zur selben Zeit. Wie können wir denselben Traum zur selben Zeit gehabt haben? Wie kann etwas so Wunderbares und Geheimnisvolles wahr sein? Aber es ist wahr.“ (S. 376)
Darüber hinaus wird die plausibel und gut recherchierte Geschichte mit emotionalem Sprengstoff kombiniert. Denn im Auftakt des Romans leidet Julie im ‚Schloss der Schlächter‘, nachdem sie in einer fiktiven französischen Stadt von den Deutschen festgenommen worden ist. Unter Folter soll sie ihre Geheimnisse preisgeben, die unter anderem auch Maddies Tod bedeuten würden. Und Julie erkennt in ihrer Verzweiflung: „Ich bin ein Feigling. Ich wollte heldenhaft sein und habe so getan, als wäre ich es.“ (S. 13) Sie war bereit, noch eine Weile schlaflos, hungrig und starr aufrecht zu bleiben, wenn sie es nur nicht in ihrer Unterwäsche tun müsse. Die Wärme und Würde ihres Flanellrocks und Wollpullovers seien ihr mehr wert als Patriotismus oder Integrität.“ (S. 14)
Im Krieg ist zum Leidwesen aller alles erlaubt. Alles wird für den Sieg gemacht. Es gibt keine Regeln mehr, keine Gesetze; Wahrheit und Menschlichkeit haben zwischen den Fronten gravierende Folgen. Wer zahlt welchen Preis? Was ist eine besondere Freundschaft unter diesen Rahmenbedingungen wert?
Der Autorin gelingt eine Balance in der Sprache und im Aufbau ihrer packenden Geschichte, die die Auswüchse des Krieges einerseits beschreibt und andererseits aus der Grausamkeit „nur“ ein glaubwürdiges Beiwerk macht.
Elizabeth Wein: Code Name Verity: Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Petra Koob-Pawis
dtv, Februar 2024
464 Seiten, Gebunden, 17,00 Euro
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.