Sie sind die beliebtesten Haustiere Deutschlands. Rund 15,7 Millionen Katzen teilen hierzulande das Sofa mit ihren Zweibeinern. Auf dem Weg dorthin mussten Katzen über sich selbst hinauswachsen: Katzen haben im Gegensatz zu Hunden, deren Vorfahren bereits in sozialen Rudeln lebten, eine gewaltige kommunikative Metamorphose hinter sich. Sie entwickelten sich von den solitär lebenden Einzelgängern, die überwiegend aus der Distanz über Duftmarken kommunizierten bis hin zu den miauenden, schnurrenden Fellknäueln von heute. Katzen haben nicht nur für den Menschen neue Signale entwickelt, sondern auch für ihre eigene Spezies. Und das machen perfekt! Beispiel: Ihr Miauen bewegt sich auf einer Frequenz von 604 Hertz und ist damit nahezu identisch mit der Frequenz von Babyweinen. Wildkatzen wie Ozelot oder Jaguar können sogar die Rufe von Vögeln nachahmen, um sie anzulocken. Sie sind ein Erfolgsbeispiel der Evolution, ein Meister der Anpassung. Das macht Mut und begeistert. Ganz egal, ob man ein Fan der grazilen Samtpfoten ist oder nicht.
Körpersignale der Katzen richtig deuten
Stimmt es, dass Katzen eher mit Frauen kommunizieren? Wie nähert man sich einer Katze beim Erstkontakt? Wie lässt sich die Ohr- und Schwanzstellung richtig deuten? Dr. Sarah Brown, die an der Universität von Southampton über das Sozialverhalten von Hauskatzen promoviert hat, befasst sich mit all diesen Fragen. Ihr gelingt ein perfekter Mix aus wissenschaftlichen Studien und persönlichen Erfahrungen durch ihre langjährige Arbeit in Tierheimen, ihren Forschungen an wild lebenden Katzenpopulationen und ihren eigenen Samtpfoten. Sie beginnt mit der Geschichte der Felidae und ihrer Selbstdomestikation, wie sie sich von der Ebene des fruchtbaren Halbmondes ausbreitete und warum alle heutigen Hauskatzen nur auf die afrikanische Wildkatze zurückgehen. Danach analysiert die Autorin die Körpersprache der faszinierenden Tiere wie Tail-up, Rubbing oder das Fressstarren.
Samtpfoten sind Anpassungsgenies
Letztendlich widmet sie sich der Mensch-Tier-Beziehung und der Frage, ob Katzen eine Persönlichkeit haben. Eine Frage, die für jeden Katzenfan rein rhetorisch, also absolut überflüssig ist. Doch die Wissenschaft haderte lange Zeit mit der Vorstellung, dass auch Tiere über dieselben Emotionen wie Menschen verfügen. Entsprechenden Verhaltensforschern wurde gar eine Vermenschlichung der Tiere vorgeworfen. Brown beschreibt die verschiedenen Versuchsmethoden, von denen einige sehr gut geeignet waren (wie der „StrangeSituationTest“ oder das „Facial Action Coding System“) und manche eher weniger, zum Beispiel Fragebögen. Grund: Katzenhalter sind meist wenig bis gar nicht objektiv, wenn es um Ihre Schützlinge geht. In einer Studie sollten Katzenbesitzer die Bedeutung ihres Vierbeiners einer Kategorie zuordnen. Mehr als die Hälfte wählte die Kategorie „Familienmitglied“, ein Drittel bezeichnete ihre Katze als „Freund“ oder „Kind“. Nur eine Minderheit bezeichnete ihre Katze als „Haustier“. Dr. Brown geht noch weiter. Sogar das „Big Five System“ der wichtigsten Charaktereigenschaften kommt in ihrem Buch zur Sprache und entschlüsselt das Geheimnis, welcher Katzencharakter zu welchem Menschen passt.
Ein Buch, nicht nur für Katzenliebhaber
In jedem vierten Haushalt in Deutschland lebt mindestens eine Katze. Doch dieses Buch lohnt sich auch für all die anderen (vom Leben benachteiligten Nicht-Katzenbesitzer). Viele Studien beziehen Hunde mit ein, was zu manchen Übereinstimmungen, aber auch vielen Unterschieden führt. Daneben erfahren wir beim Lesen viel über die Kommunikation anderer Tierarten. Abgerundet wird das Sachbuch durch bezaubernde Strichillustrationen – gemalt von der Tochter der Autorin. Letztendlich feiert dieses Buch nicht nur Katzen, sondern die Natur an sich. Ein Fazit: Katzen dechiffrieren uns besser als wir sie. Uns Zweibeinern lehrt das Buch vor allem Demut, denn was Katzen innerhalb der evolutionstechnisch lächerlich kurzen Zeitspanne von 10.000 Jahren auf die Reihe bzw. die Pfoten bekommen haben, darüber können wir Menschen nur staunen. Als ob heute auf unserem Planeten Aliens landen würden, mit welchen wir innerhalb einer Woche eine friedliche Koexistenz aufbauen müssten. Würden wir das schaffen???
Sarah Brown: Katzen und ihre geheime Sprache.
Aus dem Englischen übersetzt von Elisabeth Liebl.
dtv, April 2024.
320 Seiten, Hardcover, 24,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.