Katzenkrimis sind süß? Von wegen! Kaum den Roman aufgeschlagen, bleibt Fans der kuscheligen Felinen sofort die Luft weg: Denn in der allerersten Szene wird Kater Matula mit einem Beil die Pfote abgehackt! Als Warnung für andere Katzen. Schon sind wir LeserInnen im Plot gefangen, der bis zur letzten Seite sein hohes Spannungstempo hält. Dafür ist zum einen der ungewöhnliche Schreibstil in kurzen, dynamischen Szenen verantwortlich. Zum anderen die Geschichte und ihre cleveren, vierbeinigen Akteure. Diese wachsen beim Lesen sofort ans Herz. Den Zweibeinern sind sie in puncto Ideenreichtum überlegen. In Sachen Zivilcourage sowieso. So steckt in dem Roman weit mehr, als ein Katzenkrimi (oder eher: Thriller). Nicht nur für Tierliebhaber ein absolutes Muss!
Einst war Katzenstadt ein blühender Ort. Ein Paradies für Katzen. Dies lag an der erfolgreichen Katzenfutterfabrik. Der nette Geschäftsführer nahm ein paar Tiere bei sich auf, darunter die Schwestern Bandini und Bonnie. Es ging ihnen gut. Bis ihr Herrchen unter mysteriösen Umständen ums Leben kam. Schlimm genug, dass die Fabrik daraufhin geschlossen wurde und die Stadt dem wirtschaftlichen Niedergang geweiht war. Eine mediale Hetzkampagne gab den „Bestien“ die Schuld an seinem Tod und weiterer Verbrechen. In der Folge verließen immer mehr Einwohner den Ort, ohne ihre Vierbeiner. Die okkupierten nach und nach die Stadt. Die Katzengang rund um Bandini und Bonnie ließ sich in der Futtermittelfabrik nieder, andere Katzengangs im Stadtpark, der Bücherei (die Katzen aus Intellektuellenhaushalten) oder auf der Müllhalde (die anarchischen Aussteigerkatzen).
Doch eines Tages taucht ein Fremder mit einer Katzenpfote um den Hals auf. Immer mehr Katzen verschwinden auf mysteriöse Weise. Ein gefährlicher Glatzkopf hetzt seine drei Kampfhunde auf sie. Bauarbeiter sperren das Zuhause der Tiere ab. Es steht fest: Die Katzen sollen aus der Stadt vertrieben werden, um finstere Machenschaften zu ermöglichen. In diesem von langer Hand geplanten Komplott scheint sogar die Lokalpolitik verstrickt zu sein. Bandini und ihre Gefährten müssen herausfinden, was es damit auf sich hat. Sie verteidigen ihr Revier. Und lassen sich dafür einiges einfallen – von falschen Fährten bis zu inszeniertem Kidnapping!
Ganz ohne menschliche Hilfe geht es nicht. In der Tierärztin Doktor Katzenbeißer und einem sensiblen Fotografen haben die Gangs Unterstützung gefunden. Auch wenn es viel Kreativität verlangt, sich den Zweibeinern mitzuteilen, die leider nicht die Kunst der Katzensprache beherrschen.
Man merkt eindeutig, dass das beiden Autoren ein Faible für Katzen haben. Da sind die Anführerinnen Bandini und Bonnie – benannt nach den Katzen der Autoren. Alle Katzen werden mit liebevollen Marotten ausgestattet. Katzen pogen auf Müllhalden zu Punkmusik. Sie philosophieren über den Sinn des Lebens („Wer Furcht verbreitet, fürchtet sich!“ S. 166). Sie betätigen sich als Models auf dem Catwalk (Name verpflichtet!). Sie haben morbide Phantasien. Und sie sind echte Teamplayer, die sogar speziesübergreifend interagieren. Bei all ihren menschlich anmutenden Eigenschaften, sie sind und bleiben faszinierende Wildtiere, wie die Autoren wundervoll schreiben:
„War es wirklich erstrebenswert, mit Menschen in einem Bett zu schlafen? Jeden Tag ausgewogenes und kalorienreduziertes Essen serviert zu bekommen, hypoallergen und getreidefrei? War es wirklich Sinn eines Katzenlebens faul und träge zu werden? Seine Krallen einzuziehen, um dem Menschen nicht wehzutun? Alberne Kunsttücke machen zu müssen, um ein Bröckchen Pferdefleisch zu bekommen? Renfield knurrte bei dem Gedanken. Einfach so. Und um zu zeigen, dass er immer noch ein Kater war.“ (S. 70/71)
Kurze Katzensteckbriefe am Ende des Buches, eine Playlist mit Katzensongs und die wunderschönen Zeichnungen von Verena Grüning machen die Protagonisten besonders anschaulich. Auch stilistisch spielt Michael Bremmer, der als Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung arbeitet, seine ganze Bandbreite aus: Fiktive Zeitungsartikel und Interviews, Seitenhiebe auf die Boulevardpresse sowie die literarischen Szenen, die immer mit starken Schlagwörtern und Headlines beginnen, fesseln die Aufmerksamkeit der Leserschaft auf ganzer Linie.
Fazit: Spannend, mitreißend, überraschend – ein Katzenkrimi, wie Sie ihn garantiert nicht erwarten!
Kinostyle statt kitschiger Kuschelkurs. In atemlosem Tempo verfolgen wir die cleveren Schachzüge der 31 Katzengang-Mitglieder. Sie werden Ihre Katze danach mit anderen Augen sehen. Garantiert. Zum Glück scheint Band zwei nur einen Schnurrhaarlänge entfernt… Kaufen. Schenken. Mitfiebern!
Michael Bremmer & Veronika Grüning: Gangs of Katzenstadt.
dtv, August 2022.
288 Seiten, Taschenbuch, 11,95 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.