Irene Diwiak: Malvita

Krimi, Rachethriller, Familiendrama? Mitnichten. Diwiaks Roman ist wie ein beklemmender Irrgarten durch Dante Alighieris Inferno der Neuzeit. Ein Taumeln durch eine göttliche Komödie voller Wirrungen, Wendungen und Charaktere, die in ihren eigenen Obsessionen gefangen sind. Trotz der malerischen toskanischen Landschaft, die in der Hitze des Sommers geradezu flimmert, lauern die finsteren Vorboten überall. Da ist zum Beispiel der Ort des Settings, Malvita. Eine Mischung aus „Malavita – Unterwelt“ und „male vita“, ein Ort, in dem es sich schlecht leben lässt.

Beides ist mehr als zutreffend. Jahrhundertelang war Malvita, unweit von Florenz gelegen, ein wichtiger Produktionsort für Leder. Der Gestank der Gerbereien verpestete zwar die Luft, sicherte den Familien aber ein Einkommen. Nachdem die Lederfabrik die Wirtschaftskrise von 2007 nicht überlebt hatte, zogen die meisten Familien weg, die Stadt verfiel. Ein paar arbeiten seitdem in der verwinkelten, unheimlichen und trutzigen Villa der Unternehmerfamilie Esposito. Auch deren Namen verheißt nichts Gutes. Bedeutet er doch ursprünglich „Der Ausgestoßene“.

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Adriana Altaras: Besser allein als in schlechter Gesellschaft

Selten wurde mit so viel Witz, Lebensklugheit und Chuzpe über das Älterwerden geschrieben. Die jüdisch-deutsche Autorin Adriana Altaras illustriert diesen Vorgang in ihrem biografisch angehauchten Roman „Besser allein als in schlechter Gesellschaft“ an zwei ganz unterschiedlichen Frauenfiguren. Dabei wird klar: Alter ist abhängig von der Einstellung, nicht vom Geburtsdatum! Da ist zum einen die 60-jährige Autorin, die in einer typischen Krise steckt: Ihr Mann hat sie nach 30 Jahren Ehe für eine Jüngere verlassen, die beiden Söhne sind ausgezogen, dazu kommt noch der Corona-Lockdown.

Sie fühlt sich allein, alt und ungeliebt. Eine ganz andere Einstellung hat ihre Tante Jelka. Sie wird in Kürze 100 Jahre alt! Momentan lebt sie in einem Pflegeheim in Mantua und blickt auf ihr ereignisreiches Leben zurück. Ihre spitze Zunge hat die mondäne, lebenslustige Dame trotz ihres bewegten Lebens zwischen Vertreibung, KZ und einer strengen italienischen Schwiegermutter nie verloren. Diese Spitzen bekommt die Autorin zu spüren – in herrlichen Telefondialogen schenken sich die beiden Damen nichts. Während die Jüngere jüdische Witze zum Besten gibt, kontert die Ältere mit druckreifen Lebensweisheiten. Motto: „Ein Leben lang mittags Pasta und man überlebt alles!“ 

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Jean-Christophe Grangé: Die marmornen Träume

Der Meister des französischen Thrillers Jean-Christophe Grangé ist mit meinem Paukenschlag zurück. Sein neuestes Werk „Die marmornen Träume“ spielt in einem Setting, das bestenfalls als düster bezeichnet werden kann. Und zwar in Berlin, im September 1939 zu Beginn des Zweiten Weltkrieges. Neben dem eigentlichen mörderischen Plot entwickelt sich eine Atmosphäre des Bösen, in der unvorstellbare Gräuel zur gesellschaftskonformen Normalität geworden sind. Der Autor führt uns den ganz alltäglichen Horror vor Augen, eine Welt des Machtmissbrauchs, der blinden Hörigkeit, der sinnlosen Gewalt. Dabei zeichnet er drei komplexe Hauptcharaktere, die mit den Widersprüchlichkeiten der Ära zurechtkommen müssen und bei denen die Grenzen zwischen Gut und Böse luzide werden. Ein brutaler SS-Mann, ein ebenso zwielichtiger wie verführerischer Traumforscher und die alkoholabhängige, adelige Leiterin einer psychiatrischen Anstalt bilden ein ungewöhnliches Trio.

Ihre Wege kreuzen sich durch die Morde an den „Adlon-Damen“. Die blonden, arischen Frauen der besseren Gesellschaft, verheiratet mit NS-Größen und regimetreuen Großindustriellen, verbringen in dem Berliner Nobelhotel ihre Nachmittage in gelangweiltem Luxus. Doch nacheinander werden sie auf bestialische Weise getötet. Treibt ein irrer Serienmörder im straff durchorganisierten Nazireich sein Unwesen? Ein Ding der Unmöglichkeit! Noch dazu, weil die Taten politisch motiviert sein könnten. Deshalb müssen die Ermittlungen unter strengster Geheimhaltung stattfinden.

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Raphaela Edelbauer: Die Inkommensurablen

Wie in einen fiebrigen Traum treibt uns die Autorin Raffaela Edelbauer durch eine Wiener Nacht. Aber nicht irgendeine: Es ist der 30. Juli 1914. Die letzte Nacht vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Menschenmassen feiern, taumeln, wissen nicht wohin mit sich und ihren Gefühlen. Alles ist auf den Beinen, alles ist im Umbruch. Meisterlich beschreibt die österreichische Schriftstellerin, was hinter den erhitzten Gemütern lodert, was die Stimmung explodieren lässt, was eine Zeitenwende einleitet. Es ist nicht nur der Konflikt zwischen Nationen. Es sind mannigfaltige Brennpunkte. Proletarier gegen Aristokratie, Tradition gegen Moderne, Männern gegen Frauen, Wissenschaft gegen Spiritualität. Drei junge Menschen stehen sinnbildlich für die Tragödie dieser Nacht. Eine Generation voller Hoffnungen, voller Hunger – zum Scheitern aufs Schlachtfeld geführt.

Der 17-jährige Tiroler Hans flüchtet in einer Nacht- und Nebelaktion von dem Bauernhof, auf dem er seit Jahren als Pferdeknecht geschuftet hat. Der uneheliche Sohn eines Holzexporteurs ist belesen. Sein Wissen findet durch seine prekären Umstände allerdings kaum Anwendung. Er denkt, da muss noch mehr kommen im Leben. Er weiß nur noch nicht was. Da er bei sich eine seltene Gabe vermutet, sucht er die Psychoanalytikerin Helene Cheresch auf, die sich mit Phänomen wie Traumdeutung und kollektivem Unterbewusstsein befasst.

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Natalie Haynes: Stone Blind: Der Blick der Medusa

Wer kennt sie nicht, die Legende von Medusa, der Frau mit dem Schlangenhaar, deren Blick jeden Menschen sofort versteinert? Die von Perseus enthauptet wird, um mit Hilfe ihres Kopfes die schöne Andromeda vor einem Meeresungeheuer zu retten? Die studierte Altphilologin Natalie Haynes hat in England durch ihre populäre Aufbereitung antiker Sagen bereits Kultstatus erreicht. Ihr Anliegen laut Klappentext: „Ich denke ich schulde ihr einen Roman. Medusas Geschichte ist die eines Monsters, das kein Monster ist. Ich möchte Medusa ihre Stimme zurückgeben.“ Und beim Göttervater Zeus – das hat sie!

Der Autorin gelingt ein Bravourstück. Obwohl sie an den wesentlichen Handlungsabläufen nichts ändert, kommt allein durch den Perspektivwechsel mit der damit verbundene Täter-Opfer-Umkehr eine völlig andere, viel faszinierendere Geschichte heraus. Natalie Haynes rockt das Ding. Sie macht die jahrtausendealte Story so brandaktuell, vielschichtig, feministisch und bisweilen sogar höchst amüsant (Haynes ist auch als Komikerin tätig) wie nie zuvor!

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Patrick Aryee: 30 Tiere, die uns klüger machen

Endlich mal positive, bewusstseinserweiternde Inspirationen! Sie haben genug von schlechten Nachrichten und Krisen aller Art? Dann werden Ihnen die 30 atemberaubenden Episoden aus dem Tierreich die Augen öffnen. Denn was wäre, wenn die Lösungen für viele unserer gegenwärtigen Probleme in der Natur liegen – seit Beginn der Evolution erprobt, perfektioniert, sogar unter extremen Überlebensbedingungen? Ein Best-Practice-Kandidat ist das Bärtierchen, das Jahrzehntelang ohne einen Tropfen Wasser überleben kann! Die Panzerschuppen des prähistorischen Fischs Arapaima im Amazonas halten sogar dem Biss eines Piranhas stand, während der Kopf eines Spechts der 1000-fachen Schwerkraft ausgesetzt ist, ohne dabei Schaden zu nehmen. Ob Energiewende, Tarnanzüge, Schutzausrüstung, Gebäudeeffizienz, Langlebigkeit oder Marsbesiedelung – vieles, was noch nach Zukunftsmusik klingt, könnte dank Inspirationen aus dem Tierreich bald Wirklichkeit werden.

Hier lernen LeserInnen nicht nur die außergewöhnlichen Fähigkeiten von Tieren kennen, sondern auch, wie wir diese für technische Innovationen umsetzen können. Die Rede ist von dem faszinierenden Feld der „Bionik“, auch „Biomimikry“ genannt. Die Rezensentin verspricht: Dieses Buch wird ihre Vorstellungskraft sprengen. Im Kapitel mit dem Bombadierkäfer sogar sprichwörtlich…

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Sy Montgomery: Rendezvous mit einem Oktopus

Ein Buch, das Ihre Ansichten über Intelligenz und Bewusstsein für immer verändern wird!
Können Zitterale träumen? Kann ein Seestern, der weder Gehirn, noch Gesicht hat, wütend werden? Reagieren die Fangarme von Kraken autark, weil sie eine eigene Denkkraft besitzen und die Impulse nicht erst den Umweg über das Gehirn nehmen müssen?  Kann ein Oktopus empathisch fühlen und kreativ vorausschauend handeln, indem er zum Beispiel ein gespanntes Fangnetz als Trampolin zur Flucht benutzt? Nach dem Genuss dieses außergewöhnlichen Buches der vielfach ausgezeichneten amerikanischen Naturforscherin Sy Montgomery steht fest: Statt nach Intelligenz im Weltraum zu suchen, sollten wir uns lieber mit der Intelligenz in den Weltmeeren beschäftigen!

Nur 15 Prozent der Weltmeere erforscht

Gerade einmal 15 Prozent der Weltmeere gelten als erforscht. Was in der Tiefsee versteckt ist, können wir gar nicht abschätze. Selbst die Tiere, die wir kennen beziehungsweise erforschen, geben uns unzählige Rätsel auf. Dazu gehört der Oktopus. Ein Tier mit drei Herzen und der Fähigkeit, abgetrennte Fangarme nachwachsen zu lassen. Die 45 kg schwere Masse seines Körpers kann er durch winzige, apfelsinengroße Öffnungen quetschen. Ein Biss des Meeresbewohners endet bisweilen tödlich. Jeder der 16.000 Saugnäpfe ist in der Lage, bis zu 15 Kg anheben! Im Bruchteil einer Sekunde schafft er es, seine Hautoberfläche zu tarnen. Dabei kann er nicht nur die Farbe wechseln, sondern auch die Form und Beschaffenheit, so dass er sich glatten Felsen, feinkörnigem Sand oder spitzigen Korallen anpassen und optisch komplett mit seiner Umwelt verschmelzen kann. Wie kann ein achtarmiges Tier ohne Wirbelsäule, Gefühle zeigen und mit Menschen interagieren? Ist es uns ähnlich, womöglich ähnlicher als wir denken? Weiterlesen

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Ljudmila Ulitzkaja: Medea und ihre Kinder

Ein wunderschöne Familiensage, welche die komplizierten Verflechtungen osteuropäischer Geschichte greifbarer macht. Am Beispiel der Krim zeigt die russische Autorin, wie jahrhundertelang Vertreibung, Neuansiedlung und Völkervermischung zu einem multikulturellen Konglomerat verschiedenster Nationen und Religionen geführt hat. Mittendrin die Hauptfigur, gleichzeitig das Herzstück der Geschichte: die im Jahr 1900 geborene Medea Sinopli. Sie hat griechische Wurzeln. Neben den Griechen gehörten auch die Esten, Deutschen, Genuesen sowie die Krimtataren zu den ursprünglichen Bewohnern der Halbinsel. Bevor diese vertrieben und durch Bewohner aus Zentralrussland ersetzt wurden. Ihre riesige Patchwork-Familie verkörpert Zusammenhalt und Weltoffenheit. Probleme gibt es wie in jeder Familie zuhauf. Von Selbstfindungskrisen über Eifersucht bis hin zu Untreue und persönlichen Schicksalsschlägen. Doch sind diese stets menschlicher Natur und haben nichts mit Politik oder Religion zu tun. Dies macht die Prosa der vielfach ausgezeichneten Autorin zum Mahnmal und Hoffnungsträger zugleich.

„Den besten Ausblick der Welt hatte man von Medeas Abort.“ (S. 27) Daneben hat Medeas Datscha auf der Krim noch einiges mehr zu bieten. Kein Wunder, dass ab April Medeas weit ihre verzweigte Verwandtschaft bei ihr einfällt, um dort nacheinander die Sommerferien zu verbringen. Medea, deren Ehe mit einem jüdischen Arzt kinderlos geblieben war, heißt ihre Brüder und Schwestern, Neffen und Nichten herzlich willkommen. Weiterlesen

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Ingrid Noll: Tea Time

Ooops… i did it again! Niemand mordet so beiläufig, amüsant und abgeklärt wie Ingrid Nolls Protagonistinnen. Da macht auch ihr neuester Roman keine Ausnahme. Ruckzuck laufen aberwitzige Alltagssituation aus dem Ruder und die (Anti-) Heldinnen improvisieren mit drastischen Maßnahmen. Das liest sich einfach rundum köstlich! Erst recht, wenn Noll in „Tea Time“ ihre sechs Protagonistinnen mit derart aberwitzigen Marotten ausstattet. Fransenfimmel, kokonartige Schlafrituale, das Deuten von „Wolkenhoroskopen“ oder das Bedürfnis, in fremde Häuser einzudringen: Die Freundinnen haben nicht umsonst den „Club der Spinnerinnen“ gegründet.

Schon seit Jahrzehnten zeigt die deutsche Autorin Ingrid Noll, dass Krimis wunderbar ohne Blut, Gemetzel oder Psychosen auskommen. Ihre Werke überzeugen durch Köpfchen und Charme. Und einer hinreißenden Beobachtungsgabe für die kleinen Absurditäten des Alltags, die jede Menge unvermuteten Sprengstoff bieten. So auch in diesem Fall… Weiterlesen

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Monika Helfer: Vati

Monika Helfers Familienchroniken sind eine Extraklasse für sich. Kein Wunder, dass die aus dem Bregenzerwald stammende Autorin in den letzten Jahren Dauergast auf den Shortlists diverser Buchpreise war und 2021 den Schubart-Literaturpreis für „Die Bagage“ gewonnen hat. Während jener Roman das Leben ihrer Großeltern in den Bergen beleuchtet, denen die Kombination aus Armut, Schönheit und einem fatalen Gerücht beinahe zum Verhängnis wird, schildert „Vati“ das Leben ihrer Mutter (dem scheinbaren Bastard) und dem Mann, den Sie heiratet – dem titelgebenden Vater. Dieser Mann prägt die Autorin bis heute, nicht nur weil sie von ihm die Liebe zur Literatur vererbt bekam. Der Vater ist eine von Widersprüchen gekennzeichnete Person und dabei gleichzeitig ein Sinnbild für eine Generation sinnsuchender Männer nach dem Zweiten Weltkrieg. Ein Roman, leise und liebenswert und dabei doch kraftvoll und wuchtig zugleich!

Der Vater stammt aus ärmlichen Verhältnissen. Jede Nacht muss das Wasser in den Schalen aufgegossen werden, in denen die Bettfüße stehen, damit kein Ungeziefer unter die Decken krabbelt. Früh zeigt der Vater jedoch besondere Geistesgaben, vor allem seine Liebe zur Literatur, die durch einen Gönner gefördert wird. Später verliert der Vater im Zweiten Weltkrieg ein Bein, gewinnt aber eine Frau. Monika Helfers Mutter hat im Kriegslazarett gearbeitet. Eine „Versehrtenliebe“. Nach ihrer Hochzeit ziehen sie zunächst auf den ärmlichen Hof der Bagage, später erhält der Vater einen Posten als Leiter eines Kriegsversehrtenheims oben auf der „Tschengla“, wo der Berg ruft, die Luft sauber und die Idylle perfekt ist. Weiterlesen

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