Fesselnder Blick hinter die Kulissen des Parlamentarischen Rates
Wer die Geschichte unseres Landes verfolgt, dem erzählt die Politikwissenschaftlerin, Journalistin und Professorin Sabine Böhne-Di Leo zunächst mal nichts weltbewegend Neues.
Denn die Ereignisse rund um die Entstehung des Grundgesetzes, um die Gründung der Bundesrepublik vor 75 Jahren, sind grundsätzlich bekannt. Doch die Autorin blickt eben ein wenig hinter die Kulissen, berichtet von streitbaren Politikern, versöhnlichem Humor und vom Einfluss der damaligen Siegermächte in den ersten Nachkriegsjahren.
In ihrem Buch geht sie manchmal ganz nah ran an die Hauptpersonen dieser Geschehnisse. Wir beobachten Konrad Adenauer und Carlo Schmidt, wir hören Ernst Reuter die berühmten Worte in Berlin sagen, wir fliegen mit den Rosinenbombern über die Luftbrücke.
Denn damit beginnt das Buch, mit der Blockade Berlins durch die Sowjetunion 1948 als Reaktion auf die Währungsreform in den westlichen Besatzungszonen. Hier lernen wir Louise Schroeder kennen, die amtierende Oberbürgermeisterin Berlins. Mir war diese Frau bislang nicht bekannt, die ihr Amt nur der Tatsache zu verdanken hatte, dass die Sowjets das eigentlich gewählte Stadtoberhaupt, Ernst Reuter, ablehnten.
In mehreren Treffen der Ministerpräsidenten der Länder wird die Gründung des neuen deutschen Landes geplant, wird, nach Anweisung und Anleitung durch die Alliierten der Parlamentarische Rat gegründet. Dabei schwebt dann immer die Angst über allem, dass die Westmächte sich doch mit den Russen einigen und es keinen freien deutschen Staat gibt.
Und während die Amerikaner, Briten und Franzosen täglich, auch im Winter, zwischen 6 und 12 Tonnen Lebensmittel, Kohle und sogar Autos nach Berlin bringen, ringen im dafür freigeräumten Museum König in Bonn die Mitglieder des Parlamentarischen Rates – 61 Männer und 4 Frauen – um jedes Wort und jedes Komma im neuen Grundgesetz. Welche Bedeutung jede Formulierung, welche Wirkung und Auswirkung ein unklarer Satz, eine misszudeutende Aussage in diesem Gesetz haben könnte, all das muss bedacht werden.
Dabei bleiben auch die Querelen zwischen den Parteien, allen voran CDU/CSU und SPD, nicht unerwähnt. Der Streit um die Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern, um den Einfluss der Kirche, um die Gleichberechtigung der Frau, von all diesen schwierigen Schritten berichtet die Autorin in diesem lesenswerten Buch. Ein paar interessante Fotos finden sich auf den Seiten, die allerdings oft ein bisschen sehr unscharf sind.
Ihr Stil ist flüssig und gut lesbar, sie vermeidet komplizierte Schilderungen und lockert die trockene Atmosphäre der Politik mit einigen Anekdoten aus dem Leben der Politiker auf. Für mehr Details, für mit Tiefe muss man sicher zu ausführlicheren Werken greifen, als kurze Geschichte der Erfindung unserer Republik ist dieses Buch aber empfehlenswert.
Sabine Böhne-Di Leo – Die Erfindung der Bundesrepublik
Kiepenheuer & Witsch, März 2024
Gebundene Ausgabe, 431 Seiten, 22,00 €
Diese Rezension wurde verfasst von Renate Müller.