Sy Montgomery: Rendezvous mit einem Oktopus

Ein Buch, das Ihre Ansichten über Intelligenz und Bewusstsein für immer verändern wird!
Können Zitterale träumen? Kann ein Seestern, der weder Gehirn, noch Gesicht hat, wütend werden? Reagieren die Fangarme von Kraken autark, weil sie eine eigene Denkkraft besitzen und die Impulse nicht erst den Umweg über das Gehirn nehmen müssen?  Kann ein Oktopus empathisch fühlen und kreativ vorausschauend handeln, indem er zum Beispiel ein gespanntes Fangnetz als Trampolin zur Flucht benutzt? Nach dem Genuss dieses außergewöhnlichen Buches der vielfach ausgezeichneten amerikanischen Naturforscherin Sy Montgomery steht fest: Statt nach Intelligenz im Weltraum zu suchen, sollten wir uns lieber mit der Intelligenz in den Weltmeeren beschäftigen!

Nur 15 Prozent der Weltmeere erforscht

Gerade einmal 15 Prozent der Weltmeere gelten als erforscht. Was in der Tiefsee versteckt ist, können wir gar nicht abschätze. Selbst die Tiere, die wir kennen beziehungsweise erforschen, geben uns unzählige Rätsel auf. Dazu gehört der Oktopus. Ein Tier mit drei Herzen und der Fähigkeit, abgetrennte Fangarme nachwachsen zu lassen. Die 45 kg schwere Masse seines Körpers kann er durch winzige, apfelsinengroße Öffnungen quetschen. Ein Biss des Meeresbewohners endet bisweilen tödlich. Jeder der 16.000 Saugnäpfe ist in der Lage, bis zu 15 Kg anheben! Im Bruchteil einer Sekunde schafft er es, seine Hautoberfläche zu tarnen. Dabei kann er nicht nur die Farbe wechseln, sondern auch die Form und Beschaffenheit, so dass er sich glatten Felsen, feinkörnigem Sand oder spitzigen Korallen anpassen und optisch komplett mit seiner Umwelt verschmelzen kann. Wie kann ein achtarmiges Tier ohne Wirbelsäule, Gefühle zeigen und mit Menschen interagieren? Ist es uns ähnlich, womöglich ähnlicher als wir denken?

In wundervollen, einfühlsamen Episoden verbindet Sy Montgomery persönliche Erlebnisse, emotionalen Tiefgang und wissenschaftliche Fakten miteinander. Im New England Aquarium in Bosten lernt sie im Laufe der Jahre mehrere Oktopoden kennen, die allesamt eigene Charaktere haben. Die verschmuste Athena, die mütterliche Oktavia, die neugierige Kali. Es entsteht eine ungewöhnliche Liebe zu den Tieren. Zwar nicht auf den ersten Blick, aber auf den ersten „Händedruck“. Als Montgomery zum ersten Mal die Arme ins Becken von Oktopus Athena hält und diese ihre Hände mit den Fangarmen liebevoll ummantelt, ist es um die Forscherin geschehen. Der Oktopus möchte sie über die Saugnäpfe schmecken und kennenlernen. Seitdem geht Montgomery mindestens einmal wöchentlich ins Aquarium. Sie füttert, streichelt und beobachtet die faszinierenden Meeresbewohner. Dabei lernt sie interessante Menschen kennen, die ihre Leidenschaft für die oftmals missinterpretierten Tiere teilen.

Sensible Tiere

Wie sensibel die Tiere reagieren, erfährt die Autorin in vielen eindrucksvollen Szenen. Scheinbar können Oktopoden Schmerzmittel oder Trauer auf der Haut schmecken und reagieren dementsprechend anders. Herzergreifend ist die Episode, in der Oktopus Oktavia ihre (unbefruchteten) Eier hegt und pflegt, obwohl daraus niemals Junge schlüpfen werden. Der Tod jedes Tieres geht der Autorin sichtlich nahe – und uns Lesern ebenso (Taschentücher in Reichweite bereithalten!). Doch nicht nur die Tiere erfahren im Laufe ihres kurzen Lebens eine unglaubliche Transformation. Die Autorin traut sich endlich, einen Tauchkurs zu absolvieren und sich in die Tiefen des Meeres vorzuwagen. Sowohl Wissenschaftlicher, als auch freiwillige Helfer wie eine selbstmordgefährdete Teenagerin oder ein behinderter Junge, erhalten durch den Umgang mit den klugen, sensiblen Meeresbewohnern neuen Lebensmut.

Sy Montgomery eine der besten ihres Fachs

Mit über 20 Sachbüchern, gehört die amerikanische Naturforscherin  zu den Besten ihres Faches. „Rendezvous mit einem Oktopus“ war unter den Finalisten für den National Book Award 2015. Es ist vor allem der persönliche, emotionale Zugang der Autorin, welcher uns die Meeresbewohner nicht nur besser verstehen, sondern sie uns regelrecht ans Herz wachsen lässt. Mit all ihren Fangarmen und Geheimnissen.

Fazit: Sy Montgomerys Roman regt an, Grenzen speziesübergreifend zu sprengen. Der Originaltitel „The Soul of an Octopus“ bringt das Kernthema auf den Punkt. Hat ein Oktopus eine Seele? Was definiert Intelligenz und Bewusstsein? Welche Dinge können wir von Meeresbewohnern lernen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich auch das Nachwort von Donna Leon. Ein Buch voller Empathie, kurioser Fakten und bewusstseinserweiternden Denkanstößen!

Sy Montgomery: Rendezvous mit einem Oktopus.
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Heide Sommer.
Diogenes deluxe, Oktober 2022.
528 Seiten, Taschenbuch, 15,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.

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