Nadja Niemeyer: Gegenangriff

Stelle Sie sich vor, der übelste Schädling auf der Erde würde kurzerhand ausgerottet. Nicht schlecht, oder? Dumm nur, dass wir Menschen nicht wirklich Freude daran hätten, denn besagter Schädling ist kein anderer als Homo sapiens.

Nachdem im Januar 2034 ein intelligenzförderndes Virus, in einem Labor gezüchtet und durch sorglosen Umgang nach draußen gelangt, der Tierwelt zu erstaunlichen Fähigkeiten verhilft, nimmt der Untergang der Menschheit seinen Lauf. Die nun klugen Tiere erkennen bald, welche Schäden die Menschen auf dem Planeten angerichtet haben und beschließen aus Gründen des Naturschutzes, dem üblen Treiben ein Ende zu bereiten. Sie starten einen Gegenangriff.

Es gibt schon bald erste Anzeichen:Ein Video mit zwei Katzen, die erstaunliche Fähigkeiten zeigen, geht um die Welt, die Kühe eines Biobauernhofes töten zuerst ihren Bauern und ziehen dann geschlossen zum Schlachthof. In der Folge häufen sich verwirrende und erschreckende Beobachtungen von Tieren und ihren Aktionen. Doch die Menschen übersehen das Offensichtliche und keinerahnt, dass damit die Ausrottung der Spezies homo sapiens beginnt.

Katja Niemeyer lässt die Tierwelt sehr weise agieren. Durchwohldurchdachte Aktionen sorgen Säugetiere, Vögel, Reptilien, Amphibien und Fische gemeinsam dafür, dass der Mensch seine Vernichtung größtenteils selbst erledigt. Letzten Endes wird Homo sapiens seine Gier, seine Oberflächlichkeit und Gedankenlosigkeit, sein Egoismus zum Verhängnis. Die Tiere nutzen unsere schlechten Eigenschaften geschickt aus, bis zum bitteren Ende.

Der Bericht über die Auslöschung der Menschheit wird rückblickend aus einer nicht näher bestimmten in der Zukunft liegenden Zeit erzählt. Der Erzähler bleibt dabei im Hintergrund und ist doch in seiner kritischen Haltung gegenüber den Menschen immer präsent.Für mich ein Highlight: Im Kapitel Requiem werden auf acht Seiten in alphabetischer Reihenfolge Tierarten aufgelistet, die in der jüngeren Vergangenheit ausgestorben sind.

Pamphlet oder Streitschrift

Nadja Niemeyer nennt ihren Text ein Pamphlet und eine Streitschrift ist es in der Tat. Zwischen Wut und bitterem Zynismus legt die Autorin den Finger in die Wunde, zeigt die Unfähigkeit der Menschheit zu vernünftigem und verantwortungsvollem Handeln. Auf den ersten Blick wirkt die Geschichte reichlich fantastisch, aber bei genauem Hinsehen erkennt man, wie real das geschilderte Geschehen doch ist. Sie beschreibt, wie verheerend ein Stromausfall unser komfortverwöhntes Leben auf den Kopf stellt und wie angreifbar wir dadurch sind. Auch die Schilderung unterschiedlicher Arten von Triage nach Ausbruch einer Hungersnot entspricht realistischen Szenarien. Der egozentrische Blick auf die eigenen Bedürfnisse verhindert im Buch wie auch im echten Leben sinnvolle Lösungen: Wir wissen zum Beispiel schon lange, dass die Nutzung fossiler Energien dem Klima schadet, aber wir handeln nicht. Im Buch fällt es den Tieren nie schwer, die wenigen vernünftigen Reaktionen zu neutralisieren.

Mein Fazit: Auf den ersten Blick ist die Lektüre von „Gegenangriff“ ernüchternd. So, wie Nadja Niemeyer die Spezies Homo sapiens beschreibt, bleibt wenig Raum für Hoffnung. Auch ohne den Vernichtungsfeldzug intelligenter Tiere werden wir uns ausrotten, weil wir die Erde unbewohnbar machen. Pandora hat halt nur die Übel aus ihrem Gefäß entlassen. Jedoch wenn es wirklich keine Hoffnung gäbe, brauchte es solche Bücher auch nicht. Solange es Menschen gibt, die gegen Gleichgültigkeit, Gier und Dummheit anschreiben oder handeln, solange ist Aufgeben keine Option. Danke für dieses Buch.

Nadja Niemeyer: Gegenangriff.
Diogenes, Mai 2022.
176 Seiten, gebundene Ausgabe, 18,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Jana Jordan.

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