Adriana Altaras: Besser allein als in schlechter Gesellschaft

Selten wurde mit so viel Witz, Lebensklugheit und Chuzpe über das Älterwerden geschrieben. Die jüdisch-deutsche Autorin Adriana Altaras illustriert diesen Vorgang in ihrem biografisch angehauchten Roman „Besser allein als in schlechter Gesellschaft“ an zwei ganz unterschiedlichen Frauenfiguren. Dabei wird klar: Alter ist abhängig von der Einstellung, nicht vom Geburtsdatum! Da ist zum einen die 60-jährige Autorin, die in einer typischen Krise steckt: Ihr Mann hat sie nach 30 Jahren Ehe für eine Jüngere verlassen, die beiden Söhne sind ausgezogen, dazu kommt noch der Corona-Lockdown.

Sie fühlt sich allein, alt und ungeliebt. Eine ganz andere Einstellung hat ihre Tante Jelka. Sie wird in Kürze 100 Jahre alt! Momentan lebt sie in einem Pflegeheim in Mantua und blickt auf ihr ereignisreiches Leben zurück. Ihre spitze Zunge hat die mondäne, lebenslustige Dame trotz ihres bewegten Lebens zwischen Vertreibung, KZ und einer strengen italienischen Schwiegermutter nie verloren. Diese Spitzen bekommt die Autorin zu spüren – in herrlichen Telefondialogen schenken sich die beiden Damen nichts. Während die Jüngere jüdische Witze zum Besten gibt, kontert die Ältere mit druckreifen Lebensweisheiten. Motto: „Ein Leben lang mittags Pasta und man überlebt alles!“ 

Dem Liebeskummer ihrer Nichte kann die unabhängige Damenichts abgewinnen: „Sie hat schlechte Erfahrungen mit ihrem Mann gemacht. Das rechnet sie hoch und bezieht es auf alle. Albern ist das; als würde man sagen, mein Fiat ist stehen geblieben, also ist Italien ein marodes Land. Italien ist ein marodes Land, aber das hat mit dem Fiat nicht zu tun.“ (S. 42/43).Tante Jelka ist erst nach dem Tod ihres Mannes richtig aufgeblüht. Sie hat ihn gemocht, aber nicht wirklich geliebt. Geheiratet hat sie ihn aus Dankbarkeit, da er sie aus einem kroatischen KZ befreit und monatelang bei sich in Norditalien versteckt hat. Doch wirklich zusammengepasst habendie jüdische Großbürgerliche und der herzensgute, aber langweilige katholische Ehemann nicht.

Ihre wahre Liebe ist nach Australien geflohen, während sie jahrelang die behinderte Schwägerin und die alternde Schwiegermutter gepflegt hatte. Kaum waren alle unter der Erde, tingelte Tante Jelka um die Welt, flanierte in teuren Cashmere-Twinsets samt Hündchen am Gardasee entlang und pendelte zwischen ihren verschiedenen Jahreszeiten-Wohnsitzen hin und her. Warum sich ihre Nichte wegen eines Kerls so hängen lässt, will ihr nicht in den Kopf. Da muss schleunigst Nachschub her! Leichter gesagt, als getan. Denn Altaras hadert mit den Tücken des Online-Datings.

Erinnerungen

Abwechselnd erinnern sich beide Frauen an ihre Vergangenheit. Wie Altaras im Alter von vier Jahren von Kroatien zur Tante nach Mantua gebracht wurde. Da waren Konflikte zwischen der kommunistischen Mutter und der kapitalistischen Dior-Lippenstift-Tante vorprogrammiert. Nach wenigen glücklichen Jahren wurde Adriana Altaras von der Mutter in ein deutsches Internat geschickt, verbrachte jedoch sämtliche Ferien bei der Tante. Umso mehr schmerzt es sie, dass sie Ihre Tante lockdownbedingt nicht an deren 100. Geburtstag besuchen kann.


Neben den pointierten Dialogen beherrscht Altaras auch die leisen Untertöne. Liebevoll charakterisiert sie ihre Tante, verheimlicht dabei weder den kognitiven Abbau noch die unverarbeiteten Traumata. Tante Jelka hortet alles, vor allem exquisiten Dinge, weil sie schon einmal alles im Leben verloren hat. Sie verlegt immer häufiger Gegenstände und beschuldigt andere des Diebstahls. Von ihren resoluten Ansichten weicht die Tierliebhaberin keinen Millimeter ab. 40 Jahre trennen die beiden Frauen, sie sind grundverschieden und einander doch ähnlich. Wie sie sich zoffen und necken, wie sie einander lieben und trösten – das liest sich einfach wunderbar.

Jüdischer Witz

Das Alter und der nahende Tod sind eigentlich finstere Themen. Doch mit jüdischem Witz, warmherzigen Untertönen und ebenso gewagten wie treffsicheren Analogien transportiert die Autorin das Thema mit Leichtigkeit. Beispiel:„Was mache ich jetzt mit diesem Leinenkleid? In Berlin trägt kaum jemand Leinen, aber in Berlin wollen auch alle ewig jung und vor allem nicht zerknittert sein. Dazu passt Leinen sicher nicht. Leinen braucht Grandezza. Leinen ist äußerlich zerknittert, aber innerlich klar und fein. Leinen ist Größe dem Leben gegenüber.“  (S. 89)

Fazit: Witzig, geistreich, warmherzig. Ein Buch über die starken Bande zwischen ganz starken Frauen mit einem optimistischen Blick auf das Alter. Mit Wortwitz und pointierten Dialogen. Das ideale Buch zum Verschenken an beste Freundinnen und liebenswerte Verwandte. Und natürlich zum selber genießen. Denn ein Sofaabend mit diesem Buch ist um Längen besser als eine „schlechte Gesellschaft“.

Adriana Altaras: Besser allein als in schlechter Gesellschaft.
Kiepenheuer & Witsch, März 2023.
240 Seiten, gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.

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