Monika Helfer: Vati

Monika Helfers Familienchroniken sind eine Extraklasse für sich. Kein Wunder, dass die aus dem Bregenzerwald stammende Autorin in den letzten Jahren Dauergast auf den Shortlists diverser Buchpreise war und 2021 den Schubart-Literaturpreis für „Die Bagage“ gewonnen hat. Während jener Roman das Leben ihrer Großeltern in den Bergen beleuchtet, denen die Kombination aus Armut, Schönheit und einem fatalen Gerücht beinahe zum Verhängnis wird, schildert „Vati“ das Leben ihrer Mutter (dem scheinbaren Bastard) und dem Mann, den Sie heiratet – dem titelgebenden Vater. Dieser Mann prägt die Autorin bis heute, nicht nur weil sie von ihm die Liebe zur Literatur vererbt bekam. Der Vater ist eine von Widersprüchen gekennzeichnete Person und dabei gleichzeitig ein Sinnbild für eine Generation sinnsuchender Männer nach dem Zweiten Weltkrieg. Ein Roman, leise und liebenswert und dabei doch kraftvoll und wuchtig zugleich!

Der Vater stammt aus ärmlichen Verhältnissen. Jede Nacht muss das Wasser in den Schalen aufgegossen werden, in denen die Bettfüße stehen, damit kein Ungeziefer unter die Decken krabbelt. Früh zeigt der Vater jedoch besondere Geistesgaben, vor allem seine Liebe zur Literatur, die durch einen Gönner gefördert wird. Später verliert der Vater im Zweiten Weltkrieg ein Bein, gewinnt aber eine Frau. Monika Helfers Mutter hat im Kriegslazarett gearbeitet. Eine „Versehrtenliebe“. Nach ihrer Hochzeit ziehen sie zunächst auf den ärmlichen Hof der Bagage, später erhält der Vater einen Posten als Leiter eines Kriegsversehrtenheims oben auf der „Tschengla“, wo der Berg ruft, die Luft sauber und die Idylle perfekt ist. Monika Helfer und ihre drei Geschwister verbringen hier unbeschwerte Kindertage. Der ganze Stolz des Vaters ist seine Bibliothek, ein Vermächtnis eines reichen Philanthropen aus Tübingen. Doch mehrere Schicksalsschläge brechen über die Familie herein, was dazu führt, dass die Geschwisterkinder auseinandergerissen werden und Monika Helfer fortan unter den beengten Verhältnissen in der kleinen Stadtwohnung bei ihrer Tante Kathe und deren Familie in Bregenz unterkommen muss. Für das freiheitsliebende Naturkind ein Graus. Auch lernt sie ihren Vater – das unbekannte, vielschichtige Wesen – immer wieder aus einer neuen Perspektive kennen. Der Liebe zu ihm tut dies keinen Abbruch.

„Er wird dir deine Bibliothek zeigen. Er wird dich auffordern, ein Buch in die Hand zu nehmen. Die Art, wie du das Buch hältst, wie du umblätterst, wie du den Schutzumschlag abnimmst, wie du dran riechst, das alles wird darüber entscheiden, ob er dich leiden kann oder nicht.“ (S. 21)

Darauf stimmt Monika Helfer ihren zukünftigen Ehemann ein, bevor sie ihm den Vater vorstellt. Mitten im Alltag zwischen Armut, Kriegsinvaliden und der schönen, doch rauen Natur, wirkt der schlanke, zerbrechliche, blitzgescheite Vater wie aus einer anderen Welt. Diese Welt wird die Autorin prägen, auch wenn der Vater für sie in letzter Instanz immer ein wenig ein Mysterium bleiben wird.

Monika Helfer beherrscht den perfekten Spagat aus erzählerischer Nähe und emotionaler Distanz, so dass dieser Roman sehr berührt, ohne in Sentimentalitäten abzudriften. Den Zauber der Bergwelt erzählt Sie ohne Kitsch, die Schicksalsschläge ihrer Familie ohne Pathos. Auch springt sie immer wieder im Plot zwischen den verschiedenen Dekaden hin und her. Eben noch spielt die kindliche Monika Helfer glücklich in den bunten, üppigen Almwiesen, da ploppt auch schon eine Erinnerung an ihre eigene Tochter, die beim Wandern in den Bergen zu Tode kam, in das Alpenidyll hinein. Alles im Leben hat zwei Seiten, das Lebensspendende kann ebenso tödlich sein. Freud und Leid sind in der „Bagage“ eng miteinander verbunden.

Es ein Roman über Zusammenhalt, über das, was uns mit Menschen über Generationen verbindet. „Blut ist dicker als Wasser“, heißt es so schön. Das volle Ausmaß dieser Redensart wird den LeserInnen beim Genuss dieser Lektüre literarisch aufs Schönste vor Augen geführt. Weniger spektakulär als „Die Bagage“, dafür ruhiger und nahbarer. Ein stellvertretendes Stück Zeitgeschichte als Symbol einer gefallenen Männergeneration und der daraus emporsteigenden starken Töchter.

Monika Helfer: Vati.
dtv, Oktober 2022.
176 Seiten, Taschenbuch, 11,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.

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