Gabriele Tergit: Etwas Seltenes überhaupt: Erinnerungen

Bereits mit 19 Jahren begann Gabriele Tergit (Jahrgang 1894) für Zeitungen zu schreiben, doch nach einiger Zeit erkannte sie, dass sie dafür eigentlich zu wenig wusste. Deshalb beschloss sie, ihr „Abiturium“ zu machen und zu studieren, was sie – energiegeladen, wie sie war – auch in die Tat umsetzte.

Die journalistische Tätigkeit ließ sie nicht mehr los. Noch während des Studiums begann sie, Feuilletons zu schreiben, danach wurden Gerichtsreportagen ihr Spezialgebiet. Sie arbeitete für verschiedene Zeitungen, musste aber 1933 aus Deutschland fliehen, nachdem sie in ihrer Wohnung von der SA überfallen wurde. Nach ein paar Jahren in Palästina, siedelte sie nach England über, wo sie bis zu ihrem Tod 1982 blieb. Auch im Exil war sie produktiv, verfasste Texte für deutsche Zeitungen, Romane und Sachbücher. Für fast 25 Jahre, von 1957 bis 1981, hatte sie zudem im P.E.N.-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland das Amt des „Sekretärs“ inne.

Gabriele Tergit erzählt in ihren Erinnerungen von ihrem Werdegang, hat aber gleichzeitig die politische Entwicklung und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft im Fokus. Aus ihren Texten quillt der Zeitkolorit, sie verpackt wichtige Themen in unterhaltsame Texte und hat ihre Augen und Ohren immer dicht an den Menschen und an den aktuellen Ereignissen. Der Alltag wird lebendig und viele Details werfen ein neues, authentisches Licht auf die Vergangenheit. Weiterlesen

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Maria Regina Kaiser: Hildegard von Bingen

Als Hildegard von Bermersheim im Jahr 1098 als 10. Kind ihrer Eltern geboren wird, haben Frauen in der Welt und in der Kirche nicht viel zu sagen. Ihr Weg ist vorbestimmt und schon beschlossen: Wenn sie alt genug ist, soll sie in ein Kloster eintreten. Beten, gehorchen, arbeiten, wie schon so viele vor und nach ihr.

Doch Hildegard ist schon als kleines Mädchen anders. Immer wieder werden ihre Gliedmaßen, manchmal über Wochen, durch Anfälle gelähmt. Oft kann sie kaum gehen oder stehen, sie ist schwach und kränklich. Doch es wohnt auch eine außergewöhnliche Kraft und Gabe in ihr. Sie hat Visionen, sieht Ereignisse voraus und empfängt Botschaften von einem „lebendigen Licht“, in dem sie eindeutig Gottes Worte erkennt.

Die Menschen glauben ihr nicht, halten sie für verrückt oder besessen, deshalb verschweigt sie, was sie sieht und hört, zweifelt an sich und probiert, nicht aufzufallen.

Mit 14 Jahren folgt sie ihrer Cousine Jutta von Sponheim in die Klausur im Benediktinerkloster Disibodenberg, die dort neu gegründet und von Jutta geleitet wird. Die jungen Frauen werden in einem Wohnturm eingeschlossen, der nur kleine Fenster und eine Gittertür als Verbindung zur Kirche hat. Der Kontakt zur Außenwelt ist reglementiert, Jutta führt die ihr anvertrauten Mädchen und Frauen mit strenger Hand, am strengsten ist sie allerdings zu sich selbst. Weiterlesen

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Hélène Gestern: Der Duft des Waldes

Elisabeth Bathori, Historikerin und Expertin für Postkartenforschung, fällt nach dem tragischen Verlust ihres Lebensgefährten in ein tiefes Loch. Soziale Kontakte beschränkt sie auf das unbedingt notwendige Mindestmaß, an die Fortsetzung ihrer Tätigkeit als Professorin ist zunächst nicht zu denken. Um sich abzulenken, nimmt sie eine Stelle in einem Fotoarchiv an. Sortieren, zuschneiden, katalogisieren: mit Hilfe der eintönigen Arbeit schafft sie es zeitweise, ihren Schmerz einzulullen.

Dann bietet Alix de Chalendar, eine ältere Dame, dem Institut eine Sammlung von Briefen, Fotos und Postkarten an, die ihr Onkel Alban de Willcot im ersten Weltkrieg von der Front an seine Schwester Blanche und an seinen Freund, den berühmten Dichter Anatole Massis, geschickt hat. Dokumente von unschätzbarem historischem Wert, wie Elisabeth schnell erkennt. Doch Alix gibt die Sammlung nur unter zwei Bedingungen weiter: Elisabeth muss die Inventarisierung übernehmen und sie muss als ihre Testamentsvollstreckerin fungieren. Weiterlesen

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Zülfü Livaneli: Unruhe

Als in seiner Redaktion in Istanbul die Meldung eingeht, dass ein junger Türke namens Hüseyin Yilmaz im amerikanischen Jacksonville erstochen wurde, horcht der Journalist Ibrahim auf. Schnell wird klar: Es handelt sich tatsächlich um seinen Schulfreund, der dort durch Rassisten zu Tode kam. Ibrahim fährt zum ersten Mal sei Jahren in seine Heimatstadt Mardin, weit im Osten der Türkei an der syrischen Grenze, um die Hintergründe der Tat zu recherchieren und der Beerdigung beizuwohnen. Nachdem er die ersten Gefühle der Fremdheit überwunden hat, taucht er ein in eine Welt, die er fast vergessen hatte, die ihn aber mehr und mehr gefangen nimmt. Sein Leben in Istanbul erscheint ihm hier, „wo die Zeit rückwärts fließt“, wo Mythen noch lebendig sind und Aberglaube keine Seltenheit, als hektisch und sinnlos.

Er erinnert sich an Hüseyin als schmalen, schwachen Jungen, der allerdings im Koran-Unterricht der gelehrigste war. Von allen Verwandten und Freunden wird er als hilfsbereiter Mann geschildert, der sich mit seiner ganzen Kraft für Arme, Kranke und Unterdrückte eingesetzt hat. Zuletzt hatte er viel Zeit in den Flüchtlingslagern verbracht. Dort hatte er auch Meleknaz kennengelernt, für die er seine Verlobung löste und mit der er Hochzeitsvorbereitungen traf. Doch Meleknaz ist Jesidin und damit für Hüseyins Mutter, wie für viele andere, eine Teufelin, die ihren Sohn verhext und alles Unheil, das ihm geschah zu verantworten hat. Meleknaz ist in ihren Augen Schuld daran, dass Hüseyin von Islamisten angeschossen wurde, dass er die Familie durch die Auflösung seiner Verlobung brüskiert hat und dann nach Amerika zu seinen Brüdern fliehen musste, um sich in Sicherheit zu bringen. Weiterlesen

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Werner Hamacher: Sprachgerechtigkeit

„Gerechtigkeit ist Sprache.“ So beginnt das letzte Buch des international renommierten Literaturwissenschaftlers Werner Hamacher, der im vergangenen Jahr verstorben ist.

Viele der hier versammelten Texte, von denen er die meisten zunächst in Vorlesungen und Vorträgen seinen Zuhörern präsentierte, hatte er von Anfang an für eine gemeinsame Veröffentlichung geplant und konzipiert.

„Gerechtigkeit“, so präzisiert er einige Seiten weiter, „sofern sie in der Entscheidung für das Miteinanderleben im Reden beruht, ist Sprache.“

In seinen Studien und Analysen, in seinen Interpretationen und Gedankengängen geht er den verschiedensten Rechtstheorien im Hinblick auf Sprache und Gerechtigkeit, deren Zusammenhänge und Zusammenwirken auf den Grund. Dabei steigt er tief ein, seziert die Wörter und Sätze, setzt sich sehr detailliert mit ihren Bedeutungen und ihren Inhalten auseinander. In einer Reise durch die Zeit folgt er Platon und Aristoteles, Milton und Hobbes, Kant und Celan sowie weiteren Geistesgrößen.

Im 2. Kapitel beschäftigt er sich beispielsweise mit Schriften von Karl Marx und Hannah Arendt zu den Menschenrechten und bringt dabei sehr interessante, für mich erstaunliche Ansätze ans Licht. „Die sogenannten Menschenrechte, so zeigt Marx, sichern das Gegenteil dessen, was sie zu sichern behaupten,“ schreibt er beispielsweise auf Seite 61. Er analysiert unter anderem das Recht, seine Rechte nicht zu gebrauchen, das Recht auf Scheidung und das Recht auf Leben und schafft in allen Texten einen Bezug zur Sprache. Weiterlesen

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Ayọ̀bámi Adébáyọ̀: Bleib bei mir

Anfang der 1980er Jahre in Nigeria: Akin trifft Yejide im Kino und ist vom ersten Augenblick an fasziniert von ihr. Sie ist kämpferisch, selbstbewusst und stolz, studiert und verdient ihr eigenes Geld als Friseurin. Nur wenige Monate später heiraten sie und werden zu einem modernen Paar, das sich politisch engagiert und die überkommenen Traditionen, wie die Polygamie, hinter sich lassen will. Yejide fühlt sich in Akins Familie, vor allem bei seiner Mutter, gut aufgehoben und angenommen. Ihre Kindheit war schwer und zum ersten Mal spürt sie Geborgenheit.

Doch alles ändert sich, als Yejide nicht schwanger wird. Sie wünscht sich sehnlichst ein Kind und auch Akin möchte eine Familie gründen. Natürlich erwartet die Verwandtschaft ebenfalls, dass sich Nachwuchs einstellt. Schließlich soll die Familie weiterleben . Die Ärzte bestätigen Yejide, dass sie Kinder bekommen kann und auch Akin lässt sich untersuchen, um seine Zeugungsfähigkeit nachzuweisen. Yejide versucht alles, lässt sich von Wunderheilern behandeln und reist zu Propheten. Nichts hilft. Weiterlesen

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Gianna Molinari: Hier ist noch alles möglich

Eine junge Frau nimmt eine Stelle als Nachtwächterin in einer fast schon aufgegebenen Kartonagen-Fabrik außerhalb der Stadt an. Nur noch wenige Menschen arbeiten hier. Alle warten auf das endgültige Aus und nicht nur die Stimmung, sondern auch die Umgebung ist trist: rundherum Felder, weiter hinten der Wald und der Flughafen, Löcher im Zaun, mit Unkraut überzogener Boden, geschlossene Hallen. Und doch ist die junge Nachtwächterin der Meinung, dass es hier viel zu entdecken gibt. Hier ist noch alles möglich. Sogar der Wolf, den der Koch gesehen haben will und der noch einmal für ein wenig Aufregung sorgt.

Fallen werden ausgelegt, die junge Frau beginnt mit ihrem Kollegen Clemens eine Fallgrube auszuheben und die Überwachungskameras zeichnen auf, was draußen passiert. Allerdings möchte sie nicht, dass dem Wolf etwas geschieht, sie fühlt sich ihm verbunden, verteidigt ihn, den niemand sonst seither gesehen hat. Gibt es ihn tatsächlich? Ist er wirklich gefährlich? Ist er nicht vielmehr nur auf der Suche nach einer anderen Nahrungsquelle, weil er sein angestammtes Umfeld verlassen musste, seine angestammte Beute nicht mehr zur Verfügung steht? Weiterlesen

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Nicole Trope: Das Finkenmädchen

Birdy und Rose erzählen aus ihrem Leben. Früher kannten sie sich, waren Nachbarinnen und haben sich dann aus den Augen verloren. Damals war Birdy ein Kind und Rose schon erwachsen. Jetzt berühren sich ihre Geschichten wieder: Heute sind sie sich – wie vor 25 Jahren – ganz nah.

Birdy ist anders als andere. Langsamer. Sie kann sich nicht viel merken. In ihrem Gehirn ist eine Tür offen, durch die Vieles, was dort ankommt gleich wieder entwischt. Sie muss alles ganz oft hören, bis es sich darin festsetzt. Nur ein paar wirklich schlimme Dinge sind auf Anhieb dringeblieben und wollen nicht verschwinden. Diese Dinge hängen mit den früheren Nachbarn zusammen. Deshalb erinnert sie sich auch so gut an Rose.

Rose ist im ganzen Land bekannt. Ihr Mann Simon war ein Fernsehstar und sie war oft mit ihm gemeinsam in den Zeitungen. In über 40 Ehejahren hat sie immer zu ihm gehalten, hat alles für ihn getan, hat sich ihm ganz und gar unterworfen. Ihr Lebenszweck war, ihn glücklich und zufrieden zu machen. Dann kommen Gerüchte auf und sie beginnt zu zweifeln: Hat Simon Mädchen belästigt oder gar missbraucht? Kennt sie diesen Mann überhaupt? Hat sie jemals hinter seine attraktive, charmante Fassade geblickt? Weiterlesen

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Elaine Winter: Fräulein Nora findet die Liebe

Nora ist untröstlich. Ihre Granny Elisabeth ist tot. Nie mehr wird sie mit ihrem roten Mini durch Hannover fahren, nie mehr werden sie zusammen Darjeeling trinken. Fast ihr ganzes Leben lang hat sie Nora begleitet und war für sie – obwohl sie eigentlich „nur“ ihre Großtante war – die beste Oma, die sie sich vorstellen kann. Sie beschließt, so schnell wie möglich Grannys verwaiste Wohnung auf- und auszuräumen, in der Hoffnung, dass sie dann besser Abschied nehmen kann.

In Elisabeths „Erinnerungsschrank“ findet Nora ein golden glänzendes Kleid, das ihr wie angegossen passt. Eigentlich gar nicht ihr Stil, aber sie fühlt sich darin wohl und Elisabeth nah. Deshalb trägt sie es bei einem Ball im Kuppelsaal, bei dem sie sich mit einem wichtigen Kunden treffen möchte. Doch das Kleid scheint es in sich zu haben: Als Nora sich kurz auf einer Bank vor dem Saal ausruht, schläft sie ein und als sie aufwacht ist alles anders. Nur sie selbst nicht.

Und so reist die Leserin (und vielleicht auch der ein oder andere Leser) gemeinsam mit Nora ins Jahr 1959. Eine Zeit, in der die Frauen Tonnenmäntel und Blumengartenhüte tragen und ein Date noch Rendezvous heißt, in der ein Kuss im Park noch ein öffentliches Ärgernis und Toast Hawaii die Erfindung des Jahres ist. Weiterlesen

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Armin Strohmeyr: Weltensammlerinnen

Am 24. Oktober 1901 – ihrem dreiundsechzigsten Geburtstag – überwindet die Amerikanerin Annie Taylor als erster Mensch die Niagarafälle: Mit ihrem speziell angefertigten Holzfass „Queen of the Mist“ stürzt sie in 3,3 Sekunden die 53 Meter im freien Fall hinab und taucht in den wilden Strudeln unter. Sie macht es aus Geldnot, möchte mit ihrer wagemutigen, halsbrecherischen Fahrt ein Stückchen Berühmtheit erlangen, um sich ein Auskommen zu sichern. Doch bald schon verschwindet sie wieder in der Versenkung, weil sie es nicht schafft, ihre kurze Reise auf und im Fluss gut zu vermarkten.

Das machen viele der nachfolgenden Weltensammlerinnen in Armin Strohmeyrs Buch besser. Sie schreiben Bücher und Zeitungsartikel, lassen sich auf ihren Reisen filmen und interviewen. Das führt nicht unbedingt zu Reichtum, aber die meisten können von ihrer Leidenschaft leben. Doch egal, wohin sie reisen und welche Abenteuer sie bestehen, eines haben alle gemeinsam: Es sind unabhängige Frauen, die ihre Ziele mit langem Atem verfolgen. Weiterlesen

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