Nora ist untröstlich. Ihre Granny Elisabeth ist tot. Nie mehr wird sie mit ihrem roten Mini durch Hannover fahren, nie mehr werden sie zusammen Darjeeling trinken. Fast ihr ganzes Leben lang hat sie Nora begleitet und war für sie – obwohl sie eigentlich „nur“ ihre Großtante war – die beste Oma, die sie sich vorstellen kann. Sie beschließt, so schnell wie möglich Grannys verwaiste Wohnung auf- und auszuräumen, in der Hoffnung, dass sie dann besser Abschied nehmen kann.
In Elisabeths „Erinnerungsschrank“ findet Nora ein golden glänzendes Kleid, das ihr wie angegossen passt. Eigentlich gar nicht ihr Stil, aber sie fühlt sich darin wohl und Elisabeth nah. Deshalb trägt sie es bei einem Ball im Kuppelsaal, bei dem sie sich mit einem wichtigen Kunden treffen möchte. Doch das Kleid scheint es in sich zu haben: Als Nora sich kurz auf einer Bank vor dem Saal ausruht, schläft sie ein und als sie aufwacht ist alles anders. Nur sie selbst nicht.
Und so reist die Leserin (und vielleicht auch der ein oder andere Leser) gemeinsam mit Nora ins Jahr 1959. Eine Zeit, in der die Frauen Tonnenmäntel und Blumengartenhüte tragen und ein Date noch Rendezvous heißt, in der ein Kuss im Park noch ein öffentliches Ärgernis und Toast Hawaii die Erfindung des Jahres ist.
Nora schneit in ein fremdes Leben hinein und muss damit zurechtkommen, dass der Anwalt Albert sie für seine Ehefrau hält. Alles ist verwirrend für sie: die Sitten und Gebräuche, die Kleider, die Aufgaben einer Hausfrau und die Männer. Denn außer Albert, der hinter seiner von Konventionen geprägten Fassade ein liebenswerter Mann ist, taucht auch noch der Jungunternehmer Maximilian auf und kreuzt ständig ihren Weg. Doch Nora will sich nicht verlieben. Sie will zurück in ihr eigenes Leben und setzt alle Hebel in Bewegung, einen Weg in die Zukunft zu finden. Dabei trifft sie auf angenehme und unangenehme Menschen, einige davon kennt sie sogar.
Die Figuren, die Elaine Winter geschaffen hat, wirken gerade durch ihre Unvollkommenheit sehr liebenswert. Jede hat ihre Macken und macht Fehler, aber jede lernt auch dazu und entwickelt sich weiter. Auch die vielen Details aus einer vergangenen, aber noch gar nicht so fernen Zeit machen die Geschichte sympathisch nostalgisch. Die älteren unter uns, unsere Mütter oder Großmütter haben die 50er Jahre selbst miterlebt. Im manchen Lebensbereichen – wie in der Technik – sind die Veränderungen gewaltig, aber im Gefühlsleben gibt es damals wie heute dieselben Irrungen und Wirrungen.
Elaine Winter hat mit „Fräulein Nora findet die Liebe“ ein kurzweiliges, unterhaltsames Buch geschrieben, das man in den 50ern wohl reizend oder bezaubernd genannt hätte. Wenn Nora, die selbstbewusste Karrierefrau von heute, von einem Fettnäpfchen ins andere springt, weil die Rolle der Frau vor 60 Jahren noch eine ganz andere war, ist das oft ziemlich witzig, manchmal auch nachdenkenswert.
Gleichzeitig durchzieht ein Hauch von Wehmut und Ernsthaftigkeit das Buch, denn schließlich geht es auch um Verluste: Elisabeths Tod, Noras Furcht, nie mehr ins eigene Leben zurückkehren zu können oder den Verlust ihrer Freiheit in der Enge der Wirtschaftswunderzeit. Und natürlich kommt auch die Romantik nicht zu kurz, die gut dosiert ist und nie kitschig wird.
Ein lesenswertes Buch für alle, die humorvolle, romantische Geschichten mit Wohlfühlfaktor mögen, die nicht ganz stromlinienförmig daherkommen, am besten zu genießen an einem Wochenende im Liegestuhl oder auf dem Sofa.
Elaine Winter: Fräulein Nora findet die Liebe.
Bastei Lübbe, Mai 2018.
eBook, 6,99 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Beate Fischer.