Stephen King: Holly

Dieses Hörbuch verdanke ich einem Versehen. Übereifrig hatte ich das Buch sofort bei der ersten Gelegenheit vorbestellt und dabei die englische Ausgabe erwischt. Nebenbei bemerkt ist mir dabei aufgefallen, wie unglaublich sprachgewaltig der Altmeister im Original ist, aber es ist halt auch anstrengend, wenn der Autor so viele Wörter kennt, die ich erst nachschlagen muss. Also hab ich zum Hörbuch gegriffen, David Nathan ist das Zuhören ja ohnehin immer Wert.

Wir befinden uns mitten in der Corona-Krise und Holly muss den Verlust ihrer Mutter verkraften (oder sollte ich eher sagen „erleichtert zur Kenntnis nehmen“?). Damit bezieht King auch sofort Stellung in der Diskussion: Hollys Mutter ist an Corona gestorben, weil sie nicht dran geglaubt hat. Holly, die ohnehin schon immer zu leichter Hypochondrie neigte, hält sich nachdrücklich an alle Regeln und verlangt das auch von ihrem Gegenüber. Dadurch bleibt das Thema immer latent präsent. Sie hat inzwischen eine mehr oder weniger erfolgreiche Detektiv-Agentur gegründet und eine verzweifelte Mutter engagiert sie. Ihre Tochter Bonnie ist verschwunden und die Polizei will nichts unternehmen, weil man der Ansicht ist, sie wäre erwachsen und einfach gegangen. Sehr schnell stellt Holly fest, dass Bonnie nicht die Einzige ist, die auf ähnliche Art verschwunden ist und das scheint schon seit Jahren so zu gehen.

Ganz am Anfang begegnet uns ein Professorenpaar, sie Literaturprofessorin, er Biologe, die offensichtlich für das Verschwinden verantwortlich sind. Beide haben die Jugend schon eine ganze Weile hinter sich gelassen und sie werden uns noch häufig in diesem Roman begegnen. Wir werden hineingezogen in ihre Welt, in der die Jugend erhalten werden kann, wenn sie – oder vielmehr ihre Opfer – den Preis dafür bezahlen. Es ist eine verquere Welt, in der sie Leben, voller Leugnung und gleichzeitiger Betonung von Wissenschaft, voller fehlgeleiteter Ernährungstheorien und mit Köpfen voll von Verschwörungstheorien verquirlt mit eigenen wirren Gedanken. Und es ist eine Welt voller Verzweiflung über die eigene Zerbrechlichkeit.

„Holly“ kommt ganz ohne Geister, Gespenster und dunkle Mächte aus und zieht seinen Horror allein aus den Abgründen der menschlichen Psyche. Es ist ein sehr politisches Buch, das klar Stellung bezieht, gegen Trump, gegen Corona-Leugner und gegen QAnon. Da ist nicht nur Hollys an Corona gestorbene Mutter, da ist eben auch dieses Professorenpaar, bei denen man nun wirklich nicht von fehlender Informationsmöglichkeit reden kann. Im Gegenteil, mit einem Naturwissenschaftler und einer Geisteswissenschaftlerin decken sie sogar zwei Bereiche der Herangehensweise ab. Trotzdem scheinen sie in ihrer Verzweiflung über den eigenen Alterungsprozess das Hirn vollständig abzuschalten und sich an ungare Theorien zu klammern. Dass ihre „Medizin“ nicht mehr wirkt wie am Anfang, schieben sie nicht etwa auf den fortschreitenden Alterungsprozeß, sondern auf alles Mögliche. Verleugnung bis zum bitteren Ende.

Damit entwirft Stephen King ein recht genaues Abbild der – nicht nur – amerikanischen Gesellschaft jenes Jahres, die zwischen Panik, Leugnung und der Sehnsucht nach jemandem, der einem sagt, wo es langgeht hin- und hertickert. Er entwirft ein Bild der Gesellschaft, wie sie wird, wenn eben nicht mehr alles glatt und aufwärts geht. Das ist mehr Horror, als jede dunkle Macht jemals erzeugen könnte.

Gelesen wird das Ganze von einem David Nathan in Hochform, der den Zuhörer nicht mehr von der Angel lässt. Er hat ganz eindeutig dazu beigetragen, dass ich das Hörbuch derart genossen habe. Gerade bei Thrillern finde ich seine markante Stimme unschlagbar.

Stephen King: Holly
Aus dem Englischen übersetzt von Bernhard Kleinschmidt
Gelesen von David Nathan
Random House Audio, September 2023
18 h 41 min, MP3-CD, 17,60 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Regina Lindemann.

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