„Jedes Wort, das der Leser in Ihrem Roman liest, kommt vom Erzähler.“ (Seite 12). Wenn sich das doch mehr Autoren zu Herzen nehmen würden. Dann würde auch manche Rezension positiver ausfallen.
Ich gestehe, ich bin ein großer Fan der Sachbücher von Stephan Waldscheidt, die sich alle mit dem Thema Kreatives Schreiben befassen. Stephan Waldscheidt hat bereits etliche Bücher über verschiedene Aspekte des Kreativen Schreibens veröffentlicht. Außerdem schreibt er in entsprechenden Zeitschriften, Foren und Blogs. Unter verschiedenen Pseudonymen verfasst er Romane und Thriller.
Was seine Bücher von den vielen anderen Ratgebern für Autoren unterscheidet ist, dass sie sich mit ganz spezifischen Aspekten innerhalb des Themas Kreatives Schreiben befassen. Davon zeugt der Ober-Titel der Reihe „Meisterkurs Romane schreiben“ und dafür ist das vorliegende Buch ein weiteres Beispiel.
Dabei sollte auch die Rezension nicht verschweigen, dass dieser Ratgeber eher für Fortgeschrittene, für Autoren mit einiger Schreiberfahrung geeignet ist. Waldscheidt sagt dies selbst im Vorwort, mit der Ergänzung, dass natürlich auch Roman-Anfänger herzlich eingeladen sind, das Buch zu lesen. Sie werden dabei allerdings von vielen Problemstellungen lesen, denen sie vermutlich bislang noch nicht begegnet sind. Wobei ich hinzufügen möchte, dass selbstverständlich auch Autoren von Kurzgeschichten von der Lektüre dieses Buches durchaus profitieren können.
Der Erzähler ist, so banal es klingen mag, derjenige, der den Roman erzählt. Der Erzähler ist nicht der Autor. Sondern er (oder sie) ist die wichtigste Figur im Roman. Der Erzähler begleitet die Leser*innen durch den Roman, er soll sie führen und verführen, sie unterhalten und natürlich vor allem ihnen als der naheste Beobachter die Geschichte des Romans „erzählen“. Der Erzähler ist „Kurator, Filter, Fokus, Verstärker und Wandler“ (S. 60).
Um all diese Funktionen erfüllen zu können, muss der Erzähler Vertrauen aufbauen, er muss zur Vertrauensperson des Lesers werden. Wie Autor*innen es erreichen, dass die Leser*innen Vertrauen zu ihrem Erzähler haben, ihm durch einen ganzen Roman folgen, das schildert Waldscheidt in seinem Buch. Er erläutert detailliert die Unterschiede zwischen einem sichtbaren und einem unsichtbaren Erzähler, er erklärt, wann ein objektiver und wann ein subjektiver Erzähler besser geeignet ist, die Leser*innen zu überzeugen und er vermittelt die Vor- bzw. Nachteile eines zuverlässigen gegenüber einem unzuverlässigen Erzähler.
Ein Nebeneffekt der Lektüre des Ratgebers von Stephan Waldscheidt für mich wird sein, dass ich künftig beim Lesen vermehrt auf den Erzähler achten werde. Wobei es vermutlich genau so ist, wie Waldscheidt schreibt: je besser der Erzähler gewählt und je besser er geschaffen ist, desto weniger wird die Leserin ihn spüren, wahrnehmen. Ein schlechter Erzähler hingegen kann den Lesegenuss erheblich stören.
Was das vorliegende Buch auszeichnet, ist diese Spezifizierung auf ein bestimmtes Thema. In den vielen Büchern zum Kreativen Schreiben, die ich bisher gelesen habe, darunter wie gesagt nahezu alle von diesem Autor, wird der Erzähler und seine Bedeutung durchaus erwähnt, aber so ausführlich und lehrreich hat sich noch keines damit beschäftigt. Dieses Verdienst liegt bei Stephan Waldscheidt.
Ein Wermutstropfen sei dennoch erwähnt. Schmerzlich vermisst habe ich in diesem Buch seinen spritzigen, herzerfrischenden Humor. Sicher blitzt er hin und wieder zwischen den Zeilen auf, gerne bei seinen Kommentaren zu den vielen Beispielen, die er im Buch bringt. Doch genau der humorvolle, augenzwinkernde Vortrag seiner Ratschläge hilft mir, sie zu verstehen, zu erinnern und dadurch auch, sie umzusetzen.
Überhaupt Beispiele: dies ist ein wirklich erwähnenswerter Aspekt der Bücher von Stephan Waldscheidt. Aus eigenen Schulungen, die ich gebe, weiß ich: nichts vermittelt Lehrinhalte besser als Beispiele. Also schon von daher funktioniert das Buch über den Erzähler.
Stephan Waldscheidt: Der Erzähler: Verführer, Tourguide, Entertainer und Basis der Erzählperspektive: Meisterkurs Romane schreiben.
Independently published, August 2019.
182 Seiten, Taschenbuch, 14,99 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Renate Müller.
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