Ragnar Jónasson: Nebel

Im Grunde ist es ja eine wirklich ungewöhnliche und überraschende Idee, eine Trilogie rückwärts zu erzählen (oder doch mindestens zu veröffentlichen). Das Ganze hat aber einen entscheidenden Nachteil: die Spannung geht dabei definitiv verloren. Der vorliegende Band „Nebel“ ist nun der dritte Teil der Trilogie um die isländische Kommissarin Hulda und er erzählt den Anfang ihrer privaten Geschichte, die in den beiden vorherigen Bänden, die ich ebenfalls rezensieren durfte, bereits ausführlich thematisiert wurde. Daneben dreht sich der Roman um einen Mordfall mit mindestens zwei Toten.

Wie auch in den vorhergehenden Bänden „Dunkel“ und „Insel“ erschafft der Autor mit großem Geschick und prägnanten Worten die unheimliche und dramatische Atmosphäre der isländischen rauen, harten Natur und schildert deren Gefahren drastisch und bildhaft. Und auch die inneren Gefahren, die Zerrissenheit, die Depressionen und psychischen Schäden, die die Menschen, nicht zuletzt aufgrund der Landschaft und des Klimas, erleiden, beschreibt Ragnar Jónasson in so plastischen, aufregenden Bildern, dass die Leserin manches Mal die Kälte und Einsamkeit am eigenen Leib zu spüren scheint.

Wir erfahren nun, was mit Huldas Tochter geschah und in Andeutungen den Grund für ihren Selbstmord. Damit beginnt der Roman und erzählt dann in Rückblenden die Wochen vor diesem schrecklichen Moment. Parallel wird die Handlung weitergeführt, Hulda ist nach ein paar Wochen Auszeit wieder zur Arbeit gekommen, weil sie dort den Tod ihrer Tochter besser verarbeiten zu können glaubt. Ihr wird ein Fall zugeteilt, der sie jedoch an ihre Grenzen bringt. Es wird für sie immer schwieriger, sich auf den Fall zu konzentrieren und ihrem inneren Schmerz und ihrer Trauer nicht nachzugeben. Hulda ist wie stets unfassbar hart zu sich selbst, auch weil sie davon überzeugt ist, als Frau nur so eine Karrierechance gegenüber den männlichen Kollegen zu haben.

Der Fall, zu dem sie gerufen wird: In einem in absoluter Einsamkeit gelegenen Bauernhaus wurden zwei Leichen gefunden, die dort seit mehreren Monaten lagen. In einer dritten, rückblickenden Parallelhandlung erzählt uns der Autor nun die Vorfälle in diesem Bauernhaus und wie es zu diesen Morden kam.

Es geht also in diesem Roman nicht darum, die Lesenden im Unklaren über den Täter zu lassen. Die Spannung entsteht durch das Wissen, was passieren wird und die Unkenntnis des Motivs. Das kristallisiert sich erst später heraus, als Hulda einen Zusammenhang mit einem anderen von ihr bearbeiteten Fall entdeckt.

Wieder ist das Buch von Ragnar Jónasson eher ein Thriller als ein Krimi und stilistisch hat er mir besser gefallen als der zweite Band der Trilogie. Wie schon erwähnt bleibt aber die Spannung in Huldas persönlicher Geschichte auf der Strecke, da man schon im ersten Band die Zusammenhänge erzählt bekam. Daher hat mich, auch vom parallellaufenden Kriminalfall, der erste Band mehr gefesselt, ohne dass ich sagen möchte, dass die anderen beiden Romane nicht gefallen. Im vorliegenden Roman „Nebel“ ist mir allerdings die Spannung bei der Schilderung der Vorfälle in dem abgelegenen Bauernhaus hin und wieder zu sehr in die Länge gezogen, wird also eher unnötig überstrapaziert. Dennoch kann ich diesen wie auch die anderen beiden als spannende und aufwühlende Krimilektüre sehr empfehlen. Ganz nebenbei lernt man viel über die isländische Landschaft und die dortigen Gebräuche.

Ragnar Jónasson: Nebel.
btb, September 2020.
352 Seiten, Taschenbuch, 15,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Renate Müller.

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