Peter Stamm: Auf ganz dünnem Eis

Der Schweizer Schriftsteller Peter Stamm (Jahrgang 1963) hat ein neues Buch vorgelegt. Darin sind neun Erzählungen. Unter dem Titel „Auf ganz dünnem Eis“ ist das Buch am 8. Oktober 2025 im S. Fischer Verlag erschienen.

Peter Stamm stellt seine Figuren auf dünnes Eis

„Auf ganz dünnem Eis“ – der Titel gibt vor, was Leserinnen und Leser im Inneren des Buches erwartet. Peter Stamms Figuren in den neun Erzählungen bewegen sich auf dünnem Eis, auf dem sie jederzeit einbrechen können.

In den beiden Erzählungen mit dem Titel „Auf dünnem Eis I“ und „Auf dünnem Eis II“ ist die Protagonistin eine Schauspielerin, die mit ihren Rollen verschwimmt. Mit ihrem Lebensgefährten Manuel lebt sie am Bodensee und spielt, simuliert für angehende Ärzte in einer Psychiatrie Patientinnen. Dabei lernt sie den Assistenzarzt Jonas kennen. Ein Engagement in Ingolstadt führt sie vom Bodensee fort, aber da ist sie schon schwanger.

Die erste Geschichte des Bandes „Lieke schreibt …“ erzählt von einem jungen Mann, der seine Heimat verlassen musste und in einem schnöden Monteurzimmer unterkommt. Er arbeitet in der Bottroper Skihalle im Ruhrgebiet als Skilehrer. Er sehnt sich in die Berge zurück, hat dort aber ein Unglück (mit-) verursacht. Dann lernt er in einem seiner Kurse die Niederländerin Lieke kennen.   

Die wohl eindrücklichste Geschichte des Buches heißt schlicht „Mars“. Darin beschließt der Student Laurin, die Reise zum Mars nachzustellen. Er schließt sich im Keller seines Elternhauses ein und kommuniziert nur noch über einen Chat mit seinem Vater und seiner Mutter. Die Eltern scheinen ihren Sohn, der sich in seiner imaginären Weltraumreise immer weiter von ihnen entfernt, zu verlieren.

Die letzte Erzählung hat einen wissenschaftlichen Eisbeobachter zur Hauptfigur. Er sitzt in einem Schloss auf dem Berg in der Schweiz fest. Ringsum ihn breiten sich das Eis, die Gletscher aus. Die Menschen verlassen die Gegend und er bleibt allein zurück. Auf einem Radioempfänger sucht er die Frequenzen ab. Eines Tages hört er die Melodie von Charles Trennets „La Mer“. Er beschließt, zu handeln.

Peter Stamm erzählt so, dass es einem eiskalt ums Herz wird

Die Erzählungen in „Auf ganz dünnem Eis“ von Peter Stamm sind düster. Seine Figuren stecken in Schwierigkeiten oder sind schwierig und einsam. Sie balancieren auf einem schmalen Grat oder „auf dünnem Eis“. In manche Geschichte wie z.B. „Auf dünnem Eis I“ finde ich als Lesende schwer hinein. Mir fehlt die Orientierung, worüber ich gerade lese. So führt mich Peter Stamm ein wenig in die Irre, um mich erzählerisch auch wieder hinauszuführen. Er experimentiert mit meinen Leseerwartungen. Auf dem knappen Raum einer Kurzgeschichte zeigt sich das Können des Autors. In scheinbar alltägliche Settings, wie ein Monteurzimmer, eine Klinik, ein Elternhaus usw. bringt Stamm das Ungewöhnliche, Unheimliche, Unerwartbare.

Stilsicher in Sprache und Ausdruck ist jede einzelne Erzählung in diesem Band eine Leseherausforderung:

„Ich gehe über das Gelände der Psychiatrischen Klinik. Bei der überschwemmten Wiese bleibe ich stehen. Anna Meisterhaus sitzt immer noch auf der gelben Bank. Oder sitzt sie wieder da? … Da kommen sie von der Klosterkirche her, voraus eine Traube von Leuten aus der Gemeinde, warm angezogen mit Mützen, Kapuzen, Hüten, dann einige Priester im Ornat, Ministranten, die mit Handschuhen an den Händen Kruzifixe auf langen Stangen tragen…“ (S. 45)

Ob die Erzählungen gut sind? Das sind sie zweifellos. Zurück bleibt nur ein eiskaltes Gefühl in der Herzgegend.

Peter Stamm: Auf ganz dünnem Eis.
S. Fischer Verlag, 8. Oktober 2025.
192 Seiten, Gebunden, 24,- Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.

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