„G-L-O-R-I-A“, wer kennt ihn nicht, den Song von Patti Smiths Debütalbum „Horses“ aus dem Jahr 1975 mit dem berühmten Schwarz-Weiß-Foto von Robert Mapplethorne auf dem Cover? Oder „Because the night“ aus dem Jahr 1978, das „The Boss“ Bruce Springsteen geschrieben hat? Patti Smith (Jahrgang 1946) ist Rockmusik-Ikone der 1970er Jahre, die „Godmother of Punk“. Aber sie ist auch als Schriftstellerin und Fotografin bekannt. 2019 erschien „Year of the Monkey“ in den USA. Am 7. Mai 2020 veröffentlichte der Kiepenheuer & Witsch Verlag nun die deutsche Erstausgabe unter dem Titel „Im Jahr des Affen“ in einer Übersetzung von Brigitte Jakobeit.
USA 2016: Patti Smith reist schreibend und fotografierend durchs Land. Es ist das chinesische Jahr des Affen. Am 30. Dezember 2016 wird Patti Smith 70 Jahre alt werden. 2016 wird Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten gewählt. So verwundert es nicht, dass Patti Smith ihrem Buch den Satz des französischen Schauspielers und Dramatikers Antonin Artaud „Eine tödliche Torheit kommt über die Welt“ voranstellt.
Patti Smiths Freund und Musikerkollege Sandy Pearlman liegt nach einer Gehirnblutung im Koma. Ihm und Sam Shepherd gelten die Gedanken und Träume auf Smiths Reise, die sie zunächst nach Santa Cruz (Kalifornien) führt. Und damit tauche ich als Lesende in die Gedankenwelt von Patti Smith ein, die sie in Notizbüchern und Polaroid-Fotos festhält: sie spricht mit einem Schild, das sie fotografiert. Und Patti Smith kommt sich vor wie Alice im Wunderland. Das Schild prophezeit ihr, dass sie nach Uluru (Ayers Rock, Australien) reisen wird.
In San Diego lernt sie im WOW Café einen jungen Mann, Ernest, kennen, der begeistert über den chilenischen Schriftsteller Roberto Bolaño spricht. Patti Smith verspricht ihm ein Foto von Bolaños Spielen (er sammelte Spiele), das sie in seinem spanischen Exil gemacht hatte. Sie trifft Ernest später im Jahr in einer anderen Stadt noch einmal wieder.
Sie erinnert sich an eine Reise nach Lissabon zur Casa Fernando Pessoa. An Bücher, die sie gelesen und Musik, die sie gespielt und gehört hat. Sandy Pearlman stirbt. Sie und ihr Gitarrist und Komponist Lenny Kaye nehmen Abschied mit Musik. Patti Smith besucht ein letztes Mal Sam Shepherd, der an ALS erkrankt ist und dem sie hilft, sein letztes Buch zu überarbeiten. Am Tag der Amtseinführung des neuen amerikanischen Präsidenten schreibt sie:
„Es war der letzte Tag im Jahr des Affen, und der goldene Hahn krähte, denn der unerträgliche gelbhaarige Hochstapler war vereidigt worden, und das auch noch auf eine Bibel – Moses, Jesus, Buddha und Mohammed waren offenbar völlig woanders.“ (S.175)
Patti Smiths „Im Jahr des Affen“ ist ein geistreiches, sehr persönliches Buch. Da gibt es Textpassagen, die erscheinen mir als Lesende ziemlich entrückt. Und dann folgen ganz lebensnahe, realistische Abschnitte. Traum, Fantasie, Selbstgespräch, Erinnerung, Wirklichkeit, was ist es? Es ist ein Ausschnitt aus dem Leben und Denken von Patti Smith. Einiges erschließt sich mir dabei nicht, muss es auch nicht. Denn Patti Smith ist Künstlerin, und sie (er-) schafft Kunst. Auch mit diesem Buch. Bitte lesen!
Patti Smith: Im Jahr des Affen.
Kiepenheuer&Witsch, Mai 2020.
208 Seiten, Gebundene Ausgabe, 20,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.