P. Djèlí Clark: Meister der Dschinn

Wir schrieben das Jahr 1872, als sich die globalen Machtverhältnisse, ja die ganze Welt abrupt änderten. Der arabische Gelehrte Al-Dschahiz lüftete den Schleier zwischen den Welten – und plötzlich waren die magischen Wesen, so sie denn wollten, präsent. Die alten Mächte, allen voran Großbritannien und Frankreich versuchten die Entwicklung aufzuhalten, allein ihre Kolonialversuche wurden blutig und verlustreich zurückgeschlagen. In Ägypten, dem Ausgangspunkt der Veränderung, begrüßte man die Dschinns, gab ihnen Bürgerrechte und schmiss die Engländer größtenteils aus dem Land.

Vierzig Jahre später steht die Welt am Rande eines neuen globalen Konflikts. Das Deutsche Kaiserreich, das früh eine gedeihvolle Zusammenarbeit mit den Kobolden einging, Russland, Frankreich, das Osmanische Reich – überall Säbelrasseln und Provokationen. Eine Friedenskonferenz in Kairo soll das Schlimmste noch verhindern.

Keine Woche vor der Konferenz aber, wird deren Initiator, der englische Pascha, zusammen mit den Mitgliedern seiner geheimen Bruderschaft in seinem Palast aufgefunden – alle Opfer wurden von innen heraus mittels eines magischen Feuers hingerichtet – der vermeintliche Täter – der von den Toten zurückgekehrte Al-Dschahiz, der die sozialen Missstände anprangert und neue Unruhen schürt.

Vom Amt für Alchemie, Verzauberungen und übernatürliche Wesen wird Agentin Fatma mit der Aufklärung des Falls beauftragt. Bereits einmal konnte die wackere Frau die Vernichtung der Welt durch einen Engel gerade noch verhindern – nun steht sie Dschinn, Ghulen, Engeln und einem Magier gegenüber, die über weit mehr Kräfte verfügen, als für den Frieden gut ist …

P. Djèlí Clark legt mit diesem Erstlingsroman eine wahrlich beeindruckendes Debüt vor. Er inkludiert so gut wie alles, was ein moderner, phantastischer Roman haben sollte, und schafft es dabei, seine Leserinnen und Leser nicht nur spannend zu unterhalten, sondern auch inhaltliches Neuland zu betreten.

Arabisch geprägte Fantasy – ja, das gab es auch schon vorher. Aus heimischer Gegend fallen mir hier die Trilogien aus der Feder Akram El-Bahays oder Kai Meyers ein, auch international nahm man sich des Topics an. Vieles davon aber blieb beim oberflächlichen Charme aus Tausendundeiner Nacht hängen, ging weder sonderlich in die Tiefe, noch wirkte es authentisch.

Bei P. Djèlí Clark ist dies anders. Als dunkelhäutiger Autor hat er selbst Rassismus erleben müssen, lässt deswegen entsprechende Beschreibungen immer wieder in fast alle seine Texte einfließen. Dies ist vorliegend nicht anders.

Ja, die weißen Kolonialmächte werden angeprangert, erstaunlicherweise aber gibt es auch Beschreibungen von Arabern, die Nubier verunglimpfen und mit Vorurteilen überziehen. Dazu gesellt sich das Bild einer ungerechten Gesellschaft, in der das geknechtete Proletariat darbt, während die herrschende Clique ihre rauschenden Feste feiert.

Dass unsere Ermittlerin im Dienst des Amts als Frau Ressentiments zu überwinden hat, selbst eine Kollegin, die ihr an die Seiten gestellt wird zunächst nicht akzeptieren will, gibt dem Plot zusätzliche Tiefe und Realitätssinn. Eben jene Kollegin steht dann auch im Zentrum der Novelle „Der Spuk in Luftbahnwagen 015“ der bei Cross Cult im Frühjahr 2024 als eigenständige Publikation in Vorbereitung ist.

Fatma selbst lebt in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung zu einer dunkelhäutigen Femme fatale, hinter deren Äußerem sich mehr verbirgt, als gedacht – mehr wird nicht verraten.

Kairo, die Metropole am Nil, überrascht durch eine durchaus gelungene Synthese aus Alt und Neu – es gibt Roboter für die stumpfsinnigen Tätigkeiten als Diener, Luftwagen und intelligente Gebäude und ein wirklich großes Abenteuer zu bestehen.

Die Suche nach dem Täter und dessen Motive gestaltet sich dabei nicht gänzlich fehlerlos – die gestreuten falschen Hinweise auf vermeintliche Verdächtige sind oft allzu deutlich und schnell zu entlarven, auch wird viel erzählt, zu wenig gezeigt (show, don´t tell!) und auch Kollege Zufall zu oft bemüht. Doch dies ist Jammern auf sehr hohem Niveau.

Das Buch unterhält wunderbar eigenständig und rasant, ist geprägt durch markante, starke Frauenpersönlichkeiten und wurde zudem klasse übersetzt.

Wer also einmal in die Welt des Orients eintauchen möchte, der greife zu vorliegendem Werk – es lohnt sich!

P. Djèlí Clark: Meister der Dschinn (A Master of Djinn – 2021)
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Bernd Sambale
Cross Cult Verlag, September 2023
566 Seiten, Taschenbuch, 18,00 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Carsten Kuhr.

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