Natasha Pulley: Die verlorene Zukunft von Pepperharrow

Seit den Ereignissen, von denen uns Natasha Pulley in „Der Uhrmacher in der Filigree Street“ berichtet hat, ist einige Zeit ins Land gegangen. Keita Mori, der scheinbar alterslose japanische Adelige, der offensichtlich das Gesicht hat, hat London zunächst verlassen. Jede Woche erhält Thaniel Steepleton, sein Freund, Gefährte und Liebhaber einen Brief, der natürlich auch die gemeinsame Pflegetochter Six, die sie aus einem Arbeitshaus zu sich genommen haben, brennend interessiert.

Es ziehen dunkle Wolken am Horizont auf – Mori, wie auch der britische Dienst, dem Thaniel angehört, haben deutliche Hinweise darauf, dass Mütterchen Russland, besser gesagt, deren Flotte einen Angriff auf Japan planen. Thaniel erhält den Auftrag nach Japan zu reisen, um vor Ort den anbahnenden Konflikt im Auge zu behalten.

Eine höchst willkommene Gelegenheit, plagt ihn doch seine beginnende Tuberkulose, von der er hofft, dass er sie abseits der verpesteten Londoner Luft im Meeresklima Japans vielleicht wird heilen können. Pünktlich zur Abreise kehrt auch Mori zurück, den der neue japanische Premier anfordert, scheint es doch in der britischen Botschaft zu spuken. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt – kann man einen Hellseher doch in einem sich anbahnenden Konflikt weit sinnvoller einsetzen.

Kaum im heimatlichen Anwesen der Familie Mori angekommen, treffen sie dort auf die Japanisch-Englische Schauspielerin und Direktorin Takiko Pepperharrow, die in der Folgezeit noch eine bedeutende Rolle spielen wird ….

Natasha Pulley ist eine Autorin, die wie geschaffen für die Hobbit-Presse ist. In ihren Büchern geht es nie laut, nie plakativ, nie vordergründig gewaltsam zu. Sie ist eine Verfasserin, der leisen Töne – eine Erzählerin aber auch, die gerade mit ihren sehr versiert eingesetzten schriftstellerischen Mitteln zu faszinieren weiß. Das Pfund, mit dem sie wuchert, ist vorliegend, wie in all ihren bei Klett-Cotta erschienen Büchern, ihre zutiefst einfühlsam und interessant beschriebenen Figuren und die minutiös recherchierte Bühne, auf die diese agieren.

Zunächst passiert dabei scheinbar wenig. Erst nach und nach offenbaren sich Geheimnisse, Intrigen und Gefahren, denen sich unsere Erzähler mit Witz und Intelligenz, gar nicht zu reden von ihrem Mut, stellen. Dabei erhalten wir einen ungewöhnlichen Einblick in eine uns unbekannte Kultur. Man merkt dem Roman an, dass Pulley extra eine Gastprofessur in Japan angenommen hat, um Land, Leute und Gebräuche kennenzulernen.

Letztlich prallen hier zwei Kulturen aufeinander, die, so unterschiedlich sie auf den ersten Blick wirken, doch so Manches gemein haben. Beide Länder, Japan wie England, sind streng hierarchisch strukturiert, wirken dabei statisch, ja verknöchert, offenbaren bei näherer Betrachtung aber interessante Nuancen im Umgang miteinander und dem jeweiligen Gegner. Beide stellen den persönlichen Ehrbegriff ins Zentrum ihres jeweiligen Handelns, wollen, nein müssen zumindest nach Außen hin das Gesicht wahren. Das wirkt manches Mal ungewollt komisch, umfasst jede Menge skurrile Begegnungen und liest sich packend und wohltuend anders als gewohnt. Wer also einmal dem Fantasy-Einheitsbrei entgehen möchte, der greife zu den Büchern der Natasha Pulley!

Natasha Pulley: Die verlorene Zukunft von Pepperharrow
aus dem britischen Englisch übersetzt von Jochen Schwarzer
Klett-Cotta Verlag, September 2023
589 Seiten, gebundene Ausgabe, 26,00 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Carsten Kuhr.

Teilen Sie den Beitrag mit Ihren Freunden und Kontakten:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.