Michael Wildenhain: Das Lächeln der Alligatoren

alliWenn eine Frau zu einem Lebensthema wird, einen jungen Menschen scheinbar für immer sexuell prägt, dann könnte so eine erste Liebe unter einem guten Stern stehen, eine erfüllende Liebe werden.
Matthias große Liebe beginnt, als er vierzehnjährig die um einige Jahre ältere Marta, die Pflegerin seines kranken Bruders, kennenlernt. Sie lässt sich von ihm beobachten und zeigt bereitwillig ihren Körper. Auf einer Feier knutscht sie mit ihm, um anschließend mit ihrer Kollegin ins Bett zu gehen.
Fünf Jahre später treffen sie sich in einem Hörsaal wieder. Inzwischen ist Matthias mit Bestnoten Student und Überflieger, während Marta als Gasthörerin und Autodidaktin den Vorlesungen beiwohnt. Wie früher übernimmt die lebenserfahrene junge Frau die Führung.
„…Obwohl ich ihre Hand abschütteln, sie erneut zurückstoßen möchte, unternehme ich nichts. Folge ihr aus der Wohnung, deren Tapeten, Teppiche den Rauch des Marihuanas ausdünsten, folge ihr durch das Treppenhaus, dann hinunter auf die Straße, folge ihr, folge ihr einfach so. Spüre die Finger in der Nackenbeuge, merke, wie mir die Gänsehaut die Arme und den Rücken langsam herunterläuft.“ (S. 132)
Politisch motiviert benutzt sie ihn ohne sein Wissen, um mehr über die Lebensgewohnheiten seines Onkels und zugleich Ersatzvaters zu erfahren. Am Ende wird Matthias Zeuge, als Marta und ihre WG-Genossen seinen Onkel töten.
Der Autor Michael Wildenhain wurde für seine Romane mehrfach ausgezeichnet. Dies hängt unter anderem mit seiner ungewöhnlichen Sprache zusammen. Lange, geschachtelte, teilweise mit assoziativen Schlagworten gespickte Sätze erzeugen eine eigenwillige Rhythmik, die auf das Fühlen und Denken des in Lebensdingen unerfahrenen Matthias eingestimmt sind. Seine Liebe zu Marta wird zugleich mit einer traurigen Familiengeschichte und dem politischen (Berliner) Hintergrund (radikale Linke) unterfüttert. Dadurch bekommt sein Roman Tiefgang und Spannung. Und dies nicht nur, weil Täter und Opfer viel mehr sind als das offensichtliche.
Literatur will bekanntlich vom Leser erarbeitet, erobert werden. Bei der Lektüre „Das Lächeln der Alligatoren“ fällt dieser Prozess ungewöhnlich leicht. Martas innige Küsse zeigen, dass auch hinter anderen Lippen spitze Zahnreihen auf ihren nächsten Einsatz warten.

Michael Wildenhain: Das Lächeln der Alligatoren.
Klett-Cotta Verlag, Februar 2015.
241 Seiten, Gebundene Ausgabe, 19,95 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

Teilen Sie den Beitrag mit Ihren Freunden und Kontakten:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.