Michael Tsokos: Mit kalter Präzision

Wer was über Rechtsmedizin lernen will, ist hier richtig. Wer Berlinkolorit liebt, ist hier auch richtig. Ein spannender Thriller? Ja, auch. Aber wer starke, eingängliche Protagonisten sucht, die im Gedächtnis bleiben ist hier eher nicht richtig.

Sabine Yao, Gerichtsmedizinerin aus Berlin in ihrem ersten eigenen Fall. Eine zierliche Deutsch-Chinesin mit einer ganzen Menge Energie und festem Willen. Die braucht sie in diesem Fall auch. Die Frau eines bekannten Chirurgen wurde ermordet, ihr Mann hat ein nicht zu widerlegendes Alibi für die Tatzeit. Die Tatzeit? Irgendwas stimmt da nicht, die Totenstarre passt nicht zur berechneten Tatzeit. Berechnet von zwei verschiedenen Gerichtsmedizinern unabhängig voneinander. Muss also richtig sein.

Außerdem hat besagter Chirurg „Beziehungen in höchste Kreise“ und Sabine wird mehr oder weniger deutlich erst in den Fall, der eigentlich nicht in ihr Hoheitsgebiet gehört, hineingetrieben und dann wieder zurückgepfiffen. Denn einmal misstrauisch geworden, zapft sie ihre Kontakte an. Und eine befreundete Computerspezialistin findet durchaus dreckige Wäsche bei dem sauberen Chirurgen. Tief vergraben sind alte Fälle, in denen er immer wieder mal – meist am Rande – beteiligt war. Und immer war es Gewalt gegen Frauen, und immer konnte man ihm nichts nachweisen.

Eine halbchinesische Rechtsmedizinerin, Gewalt gegen Frauen, der große Gott in Weiß kommt immer irgendwie ungeschoren davon, weil alte weiße Männer ihn schützen, um ihre eigenen Pfründe zu schützen. Und das alles von einem Mann geschrieben. Obwohl der Plot gut aufgebaut und glaubhaft und der Thriller durchaus spannend ist, funktioniert das nur bedingt. So richtig nahe komme ich den Protagonisten nämlich nicht, weder den alten, noch den neuen. Obwohl Michael Tsokos den Protagonisten gewechselt hat, kommen alte Bekannte immer noch vor, ein stringentes Worldbuilding also. Trotzdem bleibt auch Sabine Yao seltsam blass und flach. Man hat sie vergessen, sobald man das Buch zuschlägt. Ich habe keine Ahnung, woran das liegt,  vielleicht liegt es auch nur an mir, aber diese Protagonistin ist nicht meine.

Trotzdem ist „Mit kalter Präzision“ durchaus spannend und ich habe ihn gern gelesen. Nur eben nix, was hängen bleibt.

Michael Tsokos: Mit kalter Präzision
Knaur, September 2023
400 Seiten, Taschenbuch, 16,99 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Regina Lindemann.

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