Michael Kröchert: Wasserläufer

Alissa sagt zu Rio: „… Du willst als Fotograf arbeiten, … du willst frei sein, willst auf einem Floß leben, willst Kinder, willst Berlin, … willst all das auf einmal. Das zerreißt dich doch.“ (S. 185/1186)

Das Thema Lebensplanung wird für Rio umso schwieriger, je älter er wird. Für ihn ist die Aussicht, mit Alissa eine Familie zu gründen, alles andere als einfach. Denn das verbindlich Unverbindliche in seinem Charakter schenkte ihm bisher ein Maximum an Freiheit. Als Alissa in Frankfurt ihre Dissertation zu Ende zu schreiben will, verlässt auch Rio ihre gemeinsame Wohnung.

Bei seiner Tante baut er ein Floß, auf dem er für die nächsten Wochen wie ein Eremit leben will. Die Seen in Brandenburg werden seine vorübergehende Heimat. Rio hat an alles gedacht, bis er spürt, dass der Rückzug in die Natur genauso schief gehen könnte wie sein Vorhaben, Entscheidungen zu treffen.

Der Autor und Journalist Michael Kröchert gehört zu den Menschen, die sich gründlich vorbereiten. Für sein Buch Autobahn war er ein Jahr lang unterwegs, sammelte berührende Geschichten von Menschen, die durch Staus und Pannen viel Zeit auf der Autobahn verbrachten. Das Spannungsfeld zwischen den Polen Enge und Freiheit hat er in seinem neuen Roman auf die Welt der Seen übertragen und in Szene gesetzt. Sein Protagonist Rio verbringt dort seine sommerliche Auszeit.

Michael Kröchert beschreibt bilderreich das romantische Seenpanorama, was Rio erwartet, tatsächlich erfährt, was Freiheit ist. Anfangs gefällt es ihm, wenn andere seinen Mut begrüßen, auf einem selbstgebauten, nicht angemeldeten Floß zu wohnen. Immer wieder drängen sich Bewohner und Urlauber in seine Einsamkeit. Einerseits ist er dankbar für ihre Gesellschaft und andererseits wird ihm die gefährliche Schattenseite der Einsamkeit bewusst.

Der schön und abwechslungsreich erzählte Roman ähnelt zeitweise einem Kammerspiel, wenn menschliche Konflikte das Geschehen prägen. Jeder Einzelne bringt Rio in Situationen, in denen seine Meinung gefragt ist. Dabei wird Rio ein Wasserläufer, der sich ständig revidiert.

Thematisch fokussiert der Autor den philosophischen Ansatz, man gehe auf Reisen, um bei sich selbst anzukommen. Bei Rio wird die Zerbrechlichkeit der Basis durch den Aufbruch sichtbar, aber auch die Frage: Was bleibt im Leben, wenn man eine neue Basis braucht?

Michael Kröchert schenkt eine besondere Reiselektüre, die den eigenen Blick verändern kann.

Michael Kröchert: Wasserläufer
Klett-Cotta/Tropen, Juli 2023
368 Seiten, gebundene Ausgabe, 25,00 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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