Margarita Garcia Robayo hat einen äußerst doppelbödigen und originellen Roman über Themen wie Entwurzelung, Herkunft, Familie und soziale Bindungen in einem Zeitalter des ständigen Unterwegsseins geschrieben. Die Ich-Erzählerin ist von Kolumbien nach Buenos Aires gezogen, um dort als Werbetexterin zu arbeiten. Nun erhofft sie sich ein Stipendium in Europa. Sie lebt ihr Leben so, dass sie es überall tun könnte. Ihre größte Fähigkeit sei es, „das, was ich tue in jedem Einzimmerappartement auf diesem Planeten erledigen zu können – eine anständige Internetverbindung vorausgesetzt. Ich bin so oft umgezogen, ohne Einbrüche. Das Geheimnis war, mit dem unerlässlichen Minimum zu leben …“ (S. 85).
Beziehungen im Zeitalter des Internets
Die Protagonistin wird als kluge und gewitzte Grüblerin gezeichnet. Sie lebt in einem Appartement im obersten Stock und erfreut sich an der Schönheit eines nicht vollendeten Bauskeletts, auf den der Blick von ihrer Terrasse fällt. Ihre Beziehungen sind alle von einer gewissen Unverbindlichkeit geprägt. Mit ihrer Mutter hat sie seit Jahren kaum noch Kontakt, mit ihrer besten Freundin hat sie sich zerstritten und ihre neue Beziehung vermag sie nicht einzuordnen. Ist sie für ihren Freund Axel nur ein körperlicher Zeitvertreib oder gibt es eine gemeinsame Zukunftsplanung?
Auch zu ihrer Herkunft pflegt sie eine gewisse Distanz. Ihre Schwester, die ihre indigenen Wurzeln durch konsequenten Sonnenschutz und helle Haut zu verbergen sucht, schickt ihr ab und zu Geschenkpakete mit Waren, die bereits verdorben ankommen. Eines Tages steht ein besonders großes Exemplar vor der Wohnung der Protagonistin. Am nächsten Tag ist es geöffnet und sein Inhalt – ihre Mutter – sitzt plötzlich bei ihr auf der Couch.
Mit diesem Ausflug ins Reich des Fantastischen lässt Margarita Garcia Robayo die Leser im Unklaren zurück. Ist die Mutter wirklich da oder handelt es sich um eine Halluzination? Während wir LeserInnen darüber noch rätseln, vermag auch die Erzählerin ihre Gefühle nicht richtig einzuordnen. Je nach Verfassung erscheint ihr das Verhalten der Mutter mal fürsorglich, mal übergriffig und sehr häufig von resoluter Absurdität geprägt. So muss sich die Kolumbianerin mit ihrer eigenen unliebsamen Vergangenheit auseinandersetzen, wenn sie ihre Zukunft bestimmten will.
Mischung aus Ironie und Melancholie
Das alles macht Robayo in wunderschönen, glasklaren Sätzen, die ständig zwischen Ironie und Melancholie pendeln. „Ich schaue mich von außen an, und es ist, als säße ich vor einem Leben, das ich bereits gelebt habe. Ich erkenne alles, aber da ist keine Nostalgie. Nur Überdruss.“ (S. 181). Aber nicht nur die namenlose Werbetexterin hadert mit ihrem Leben und ihren Aufträgen, wie das Verfassen eines Werbetextes über eine glückliche, da „friedlich geschlachtete“ Kuh.
Auch die Menschen ihres Umfeldes wirken taumelnd. Da ist die alleinerziehende Nachbarin, die als Krankenschwester ständig ihren Sohn bei ihr abliefert, wenn sie keinen Babysitter findet. Da sind die Nachbarn, die ihr lebloses Appartement mit Minimalismus gestalten. Da ist der Hausmeister, der sie wegen Ihrer Herkunft misstrauisch beäugt und doch selber nicht dazugehört. Und da ist schließlich noch die Katze Agatha, die im Hauskomplex herumstreunt und von der Ich-Erzählerin gefüttert wird. Unabhängig, ungebunden und rastlos. Seelengefährtinnen im Geiste. Gibt es Orte, an denen Schweine masturbiert werden, um den Stress vor der Schlachtung zu mindern? Ist der Satz „Alles hat seine Grenzen!“ überhaupt haltbar? Denn wenn alles alles ist, kann es doch keine Grenzen haben. Wer Freude an hintersinniger Literatur mit feinen, ironischen Spitzen und doppelbödigen Handlungssträngen hat, wird sich mit diesem Roman der kolumbianischen Autorin, die mit dem Premio Literario Case de las Americas ausgezeichnet wurde, bestens unterhalten fühlen. Eine literarische Entdeckung, auf deren Nachschlag wir noch gespannt sein dürfen!
Margarita Garcia Robayo: Das Paket.
Aus dem Spanischen übersetzt von Dagmar Ploetz.
dtv, April 2024.
240 Seiten, Hardcover, 24,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.