Louise Erdrich: Jahr der Wunder

Louise Erdrich (Jahrgang 1954), US-Amerikanerin mit indigenen Wurzeln wurde 2021 für ihren Roman „Der Nachtwächter“ mit dem Pulitzer Prize for Fiction ausgezeichnet. Sie lebt und arbeitet in Minneapolis im US-Staat Minnesota, wo sie die Buchhandlung Birchbark Books betreibt. Ihr neuer Roman „Jahr der Wunder“ (Originaltitel: The Sentence) erschien am 17. Mai 2023 in einer Übersetzung von Gesine Schröder im Aufbau Verlag.

Darin findet sich die Indigene Tookie im Gefängnis wieder, nachdem sie ihrer Freundin Danae helfen wollte, die Leiche ihres toten Ex-Freundes Budgie von seiner Ehefrau Mara zu stehlen. Von Danae erhält sie für diesen Freundschaftsdienst einen „dicken Scheck“. Leider klebt auch noch Crack an Budgies Körper.

Der Stammespolizist Pollux verhaftet Tookie. Sie wird zu sechzig (!) Jahren (a sentence) Haft wegen Leichenschändung und Drogenhandel verurteilt. Ihre Lehrerin Jackie Kettle schickt ihr Bücher, u.a. ein Wörterbuch, ins Gefängnis. Nach zehn Jahren wird sie begnadigt. Tookie findet Arbeit in einer Buchhandlung in Minneapolis. Und sie heiratet Pollux. Eines Tages verstirbt eine gute Kundin des Bücherladens. Fortan spukt Flora durch die Räume. Und sie scheint Tookie besonders zu verfolgen. Der Geist beunruhigt Tookie. Flora wollte alles über Indigene wissen und wäre am liebsten selbst eine gewesen.

Dann beginnt die Covid 19 – Pandemie. Polluxs Tochter Hetta findet mit ihrem Baby Jarvis Unterschlupf bei ihrem Vater und Tookie. George Floyd wird von weißen Polizisten getötet, und in Minneapolis und anderen Städten in den Vereinigten Staaten gehen Menschen gegen rassistische Polizeigewalt auf die Straßen. Es kommt zu gewalttätigen Unruhen. Und auch zwischen Pollux und Tookie gibt es Dissonanzen. Bis Pollux schwer an Corona erkrankt, Tookie endlich Floras Geist vertreibt und mit ihrer eigenen Vergangenheit ins Reine kommt.

Eigene Lebens- und Familiengeschichte

Die Schriftstellerin Louise Erdrich betreibt die Buchhandlung Birchbark Books in Minneapolis. Sie taucht selbst in dieser Rolle in ihrem Roman auf. Erdrichs Großvater war Häuptling eines Stammes der amerikanischen Ureinwohner, sie wuchs in einem Reservat auf. In ihren Romanen greift sie u.a. auch auf ihre eigene Lebens- und Familiengeschichte zurück.

So stecken im „Jahr der Wunder“ eigenwillige Charaktere, allen voran Louise Erdrichs Protagonistin Tookie. Was sich anfangs wie Klamauk liest, entwickelt sich zu einer herzerwärmenden mitunter auch traurigen Geschichte über Bücher und Menschen. Die indigene Kultur mit ihren Riten und Bräuchen findet ebenso Raum wie die weltverändernden Ereignisse Covid 19 – Pandemie und rassistische Polizeigewalt, die wie Donnerhall im Romaninhalt wirken:

„Dann schaute ich es mir auch an, das Video mit dem Polizisten, der auf dem Nacken eines Schwarzen Mannes kniete, und der Mann rief und rief nach seiner Mutter, und dann verstummte er, und dann lag er still.“ (E-Book, S. 207)

Hauptfigur mit Ecken und Kanten

Tookie ist eine Hauptfigur mit Ecken und Kanten, sie prägt sich mir als Lesende von allen Figuren des Buches am meisten ins Gedächtnis. Ihre Leidenschaft für Bücher und für das Lesen springt auch auf mich über. Die Buchempfehlungen in der Geschichte und auch die „Lieblingsbücherliste“ am Ende des Romans inspirieren, gleich in die nächste Buchhandlung zu laufen und mit einem Arm voller Bücher wieder nach Hause zu gehen.

Als Europäerin, weit weg von den USA, bekomme ich durch Tookies Perspektive eine Ahnung vom tiefsitzenden Rassismus und der Ungleichheit zwischen Armen und Reichen im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“.

„Das Jahr der Wunder“ von Louise Erdrich ist zwar nicht mein „Lieblingsbuch“ in diesem Jahr, aber eine lesens- und empfehlenswerte Lektüre.

Louise Erdrich: Jahr der Wunder.
Aus dem Amerikanischen Englisch von Gesine Schröder.
Aufbau Verlag, Mai 2023.
480 Seiten, E-Book, 16,99 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.

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