Lisa Jewell: Was damals geschah

Zugegeben, es gab am Anfang mehrere Momente, wo ich den Roman weglegen wollte. Es kam keine Spannung auf, die aus drei Perspektiven erzählte Geschichte nahm zu langsam Fahrt auf. Vor allem bei einer der Perspektiven erschloss sich sehr lange nicht, worum es eigentlich geht.

Doch dann packt einen die Story, die so abgedreht ist, so aberwitzig und vor allem so viele unerwartete Twists hat, dass man definitiv niemals ahnt, worauf es hinausläuft.

Zwar sind manche Cliffhanger etwas sehr bemüht, manche Grusel- oder Schockmomente etwas zu aufgesetzt, aber die Geschichte selbst ist sehr spannend und fesselnd. Dabei ist es nicht mal die eigentliche Hauptfigur, die die Handlung trägt. Libby nämlich, die zu ihrem 25. Geburtstag Post vom Rechtsanwalt erhält und erfährt, dass sie ein Haus geerbt hat. Ein sehr wertvolles Haus, das aus ihr über Nacht eine reiche Frau macht.

Doch das Haus birgt eine abstruse, sehr verworrene Geschichte. Darin kommt Libby als Baby vor, die nun, mit Hilfe eines Journalisten, diese Geschichte herausfinden will. Die Handlung, die sich vor Libbys Geburt in dem Haus zutrug, erfahren wir aus dem Mund eines der Beteiligten, Henry, der uns die Ereignisse in Ich-Form schildert. Die beiden anderen Blickwinkel sind Libby und Lucy, eine Mutter von zwei Kindern, die obdachlos ist, vom Geigenspiel lebt und nun auch zurückkehren will in das Haus in London.

Was der Autorin sehr gut gelingt, leider abgesehen von der etwas blass geratenen Libby, ist die Ausgestaltung der Figuren. Gerade aus den Protagonisten heraus entsteht die Spannung, die sich nach und nach entwickelt. Es gibt zwar Nebenstränge, die es nicht gebraucht hätte, die nur ablenken, wie die Vergangenheit von Lucy, aber auch dort ergibt sich Dramatik und Spannung. Die anderen Figuren, die zusammen in diesem Gruselhaus leben, sind so präsent, so interessant und fesselnd, dass sie die gesamte Geschichte tragen können.

Irgendwann kommt dann eben doch die Stelle, ab welcher man das Buch nicht mehr aus der Hand legt, ab welcher die Ereignisse eine Dynamik entwickeln, die mit jeder Seite zunimmt. Und ab der die Leserin nicht mehr in der Lage ist, zu ahnen, worauf es am Ende hinauslaufen wird. Da zeigt Lisa Jewell ein wirklich großes Geschick, falsche Fährten zu legen, mit Identitäten zu spielen, Verdacht zu erzeugen.

Wenn man also die ersten Seiten durchhält, wird man mit einem ungewöhnlichen, dramatischen und hochspannenden Roman belohnt, der wirklich lesenswert ist.

Lisa Jewell: Was damals geschah.
Aus dem Englischen übersetzt von Carola Fischer.
Limes, November 2021.
432 Seiten, Taschenbuch, 15,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Renate Müller.

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