Libby Page: Im Freibad

Seit Kate nach London gezogen ist, fühlt sie sich einsam. Ihre Studienkollegen haben sie eingeschüchtert, ihre Mitbewohner in der WG sieht sie kaum, weil sie sich außerhalb der Arbeit die meiste Zeit in ihrem Bett verkriecht, oft mit einem Glas Wein zu viel. Durch die Straßen läuft sie nur mit gesenktem Kopf, die Panik ständig im Schlepptau. Zu „echten“ Menschen hat sie kaum Kontakt. Geschichten sind ihre Freunde. „Möglicherweise ist es Frühling, aber Kate lebt unter einer Wolke. Sie folgt ihr auf Schritt und Tritt, und wie sehr sie ihr auch zu entkommen versucht, sie scheint sie nicht abhängen zu können.“

In der Redaktion des Lokalblattes Brixton Chronicle, in der sie nach dem Studium gelandet ist, schreibt sie über verschwundene Haustiere und Straßenbauarbeiten, also „die Artikel, die weiter hinten stehen, aber nicht ganz hinten, wo die Sportseiten sind. Die Artikel, die nicht gelesen werden.“

Doch ihr Leben nimmt eine unerwartete Wendung, als der Chefredakteur Phil ihr den Auftrag gibt, über ein Freibad zu berichten, das geschlossen werden soll. Die Immobilienfirma Paradise Living möchte das Gelände kaufen und zu einem privaten Fitnessclub für die Bewohner ihrer Luxuswohnungen umwandeln, die in der Gegend aus dem Boden schießen. Zu Schwimmbädern hat Kate ein gespaltenes Verhältnis, aber sie nimmt den Auftrag an und trifft sich nicht nur mit dem Geschäftsführer, sondern auch mit Rosemary, der „treuesten Schwimmerin des Freibads.“

Rosemary ist 86, lebt schon immer in Brixton und ist mit dem Freibad aufgewachsen. Ihre schönsten Erinnerungen hängen daran. Es verbindet sie auf fast magische Weise mit ihrem geliebten, zwei Jahre zuvor verstorbenen Ehemann George. Sobald sie ins Becken taucht wird sie wieder jung, ihr Körper schwerelos und geschmeidig. Von ihrer Wohnung aus kann sie das Wasser glitzern sehen und auf ihrem Balkon flattert jeden Morgen der Badeanzug zum Trocknen.

Sie erkennt auf den ersten Blick Kates Probleme und ist überzeugt, ihr einen Schubs in die richtige Richtung geben zu können. Deshalb stellt sie für die Zusammenarbeit eine Bedingung: „Ich gebe Ihnen das Interview, wenn Sie schwimmen gehen.“

Kate überwindet sich und beginnt, eine völlig neue Frau in sich zu entdecken. Gemeinsam mit Rosemary, deren Freunden und dem Fotografen Jay nimmt sie den Kampf gegen die Schließung auf.

Von der ersten Seite an hat mich dieses Buch bezaubert und mitten hinein nach Brixton versetzt. Märkte, Läden, Menschen und natürlich das Freibad: Alles wirkt so hinreißend lebendig, dass ich es sehen, hören, riechen und fühlen konnte.

Rosemarys bunte Freundesschar kommt so sympathisch rüber, dass ich sie alle lieber heute als morgen kennenlernen würde. Im Mittelpunkt stehen nicht nur Rosemary und Kate, die eine ganz besondere Freundschaft entwickeln und sich gegenseitig stützen, sondern eine offene und hilfsbereite Gesellschaft, die zusammenhält und füreinander einsteht. Jede und jeder kann seinen Teil zu einem gemeinsamen, guten Leben beitragen.

Eine ganz zentrale Rolle spielt natürlich das Freibad: Es wird zum Symbol für Gleichheit, Freiheit und Gemeinschaftssinn der Menschen. Wer in seiner Badekleidung ins Wasser taucht, ist in einer anderen Sphäre, Träume können für eine Weile wahr werden, keiner steht über oder unter einem anderen. Und es gibt Kraft für das (Über-)Leben draußen.

Der jungen Autorin Libby Page ist ein wunderbares Buch über Freundschaft und Solidarität gelungen, das ich kaum aus der Hand legen konnte. Dazu trägt sicher auch die Übersetzung durch Silke Jellinghaus bei. Manchmal habe ich aber auch ganz bewusst beim Lesen Pausen eingelegt, um länger etwas davon zu haben und mich nicht so schnell von den Charakteren verabschieden zu müssen, die mir ans Herz gewachsen sind.

„Im Freibad“ ist ein Wohlfühlbuch mit Tiefgang (und das nicht nur im Wasser), das ich wärmstens empfehlen möchte.

Libby Page: Im Freibad.
Ullstein, Mai 2019.
400 Seiten, Taschenbuch, 14,99 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Beate Fischer.

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