Karl Friedrich Borée: Frühling 45 (1954)

Im Frühling 1945 spüren nicht nur der Berliner Chronist Stein und seine Familie, dass der Krieg bald vorbei ist. Jeder will endlich wieder frei sein, leben, ohne Angst die eigene Meinung vertreten und genug zu Essen haben. Natürlich wird auch das Ende der Bombardierungen herbeigesehnt, damit die Zerstörung aufhört und die Menschen die Nächte durchschlafen können.

Als die Befreiung eine Tatsache wird, sieht das Leben der Familie Stein ganz anders aus als gedacht. Angst vor Tod, Vergewaltigung und systematische Enteignung gehören nun zur Tagesordnung.

Der 1964 verstorbene Autor Karl Friedrich Borée hat viel mehr als nur eine Chronik über die Kapitulation in Deutschland geschrieben. Sein Thema ist die Gestaltung der Gesellschaft nach dem Zusammenbruch. Die alten Gewohnheiten und Denkweisen stehen einem Neuanfang im Wege. Moral und Hunger passen in Zeiten der Not nicht zusammen, auch wenn der Friedenswille da ist.

1886 wurde Karl Friedrich Borée in Görlitz geboren. Nach seinem Jurastudium erlebte er zwei Weltkriege. Sein erster Roman »Dor und der September« wurde 1930 ein Erfolg. Seinen wichtigsten Roman »Frühling 45« wollte anfangs kein Verlag veröffentlichen, weil der Wunsch nach vorn zu schauen größer war als über Vergangenes zu lesen. Deshalb erschien sein Roman erst 1954.

Aus heutiger Sicht informiert Borées Antikriegsroman über ein Stück vernachlässigter Geschichte. Hinzu kommt die unterhaltsame Komponete, wenn die philosophischen Überlegungen des Erzählers von wendungsreichen Ereignissen heimgesucht werden. Das nackte Leben scheint einfach stärker zu sein als geistreiche Betrachtungen.

Das Grauen des Krieges und die damit verbundene Gewalt stehen bei Stein nicht im Zentrum seines vom Glück gesegneten Lebens. Denn er und seine Familie finden rechtzeitig in einer Villa eines geflüchteten Nazis Unterschlupf. Das behagliche Haus mit den gebunkerten Vorräten und dem Garten bieten mehr Luxus als die meisten am Ende des Krieges zu träumen wagen. Ein vom Schicksal Begünstigter darf und kann über die Veränderungen in der Gesellschaft distanziert und emotionsarm berichten. Das Persönliche und Spezielle wird erhöht, um das System Menschlichkeit zwischen Kriegsgewinner und Besiegten allgemeingültig darzustellen.

Karl Friedrich Borée: Frühling 45: Chronik einer Berliner Familie.
Lilienfeld Verlag, Mai 2017.
464 Seiten, Gebundene Ausgabe, 24,90 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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