Nicht so überzeugende Fortsetzung einer sehr gelungenen Familiengeschichte
Mit großen Erwartungen sehnte ich die Fortsetzung von „Über Carl reden wir morgen“ herbei, einem Familienroman, der mir absolut gefiel, der mich fesselte, bei dem ich voll und ganz in die Geschichte eintauchen konnte.
So ist es aber oft, je größer die Erwartungen, desto größer die Enttäuschung. Die jetzt vorliegende Fortsetzung konnte mich nicht überzeugen, mich nicht erreichen.
Geschrieben ist der Roman aus der Sicht von Elisabeth, der Tochter der Familie Brugger, die im Mittelpunkt des Vorgängerbandes stand. Elisabeth ist geboren kurz vor der Jahrhundertwende. Sie erzählt in Ich-Form ihre eigene Geschichte einer anderen Person, ihrer Großnichte, der Enkelin eines ihrer Brüder. (Hier hilft der am Ende des Buchs gezeigte Stammbaum der Familie Brugger beim Verständnis).
Doch nicht nur diese Erzählweise, sondern auch der sehr spröde Erzählstil macht es schwer, in den Roman hineinzufinden. Sehr distanziert, sehr kühl, emotionslos verfolgt man das Leben Elisabeths und ihrer Brüder. Sie möchte Ärztin werden, zu ihrer Zeit für eine Frau ein nahezu unerreichbares Ziel. Doch sie setzt sich durch, entgegen allen Widrigkeiten. Sie heiratet, bekommt Kinder, schließt Freundschaften, arbeitet in ihrem Beruf und hält vor allem die sehr enge Beziehung zu ihrem Bruder Eugen wach. So ist es auch seine Geschichte, die sie erzählt, aber auch die sehr spröde, sehr gefühlsarm.
Elisabeth erzählt vom ersten und vom Zweiten Weltkrieg, der Zeit dazwischen, von ihrem Studium, ihrer Ehe, von anderen Menschen, all das aber so, als beträfe es sie selbst nicht.
Das macht es schwer, für diese Figur, diese Frau etwas zu empfinden, mitzufühlen. Dazu kommen viele, oft spontane Zeitsprünge vor und zurück, die aus dem Handlungslauf herausreißen, es erschweren, der Handlung zu folgen.
Dabei ist das Hintergrundthema, neben der Familiengeschichte die Geschichte der weiblichen Ärzte, der Steine, die man ihnen in den Weg legte und der Errungenschaften, die sie für die Medizin auch bedeuteten, durchaus interessant. Doch nichts an diesem Roman konnte mich wirklich fesseln, ich konnte nicht eintauchen, nicht miterleben, wie es Elisabeth erging. Dazu diese Erzählweise, dass sie immer wieder die Person anspricht, der sie von ihrem Leben erzählt, die mich zusätzlich immer wieder irritierte. Auf diese Art war der Roman ein sehr nüchterner Lebensbericht ohne Chronologie.
So hat mich der neue Roman von Judith W. Taschler, für deren Bücher ich sonst schwärme, nicht überzeugen können. Weder Figur noch Inhalt konnten mich erreichen. Schade
Judith W. Taschler – Nur nachts ist es hell
Zsolnay, August 2024
Gebundene Ausgabe, 319 Seiten, 24,00 €
Diese Rezension wurde verfasst von Rena Müller.