Als Kind hat er immer rumerzählt, er sei ein Pflegekind und lebe nicht bei seinen leiblichen Eltern. Dabei war es umgekehrt: In einem Haushalt voller wechselnder Pflegekinder war er der einzige Junge, dessen Eltern mit am Tisch saßen, dessen Eltern ihm nicht die Liebe entgegenbringen konnte, die er brauchte, die ihm nicht die Aufmerksamkeit gaben, die man seinem Kind geben sollte. Mit achtundzwanzig Jahren kehrt er zurück in sein Elternhaus. Der Vater ist mittlerweile verstorben, die Mutter dement und in einem schlechten gesundheitlichen Zustand, die Pflegekinder … Sie sind erwachsen geworden und verschwunden. Doch die Steine im Bauch sind geblieben, vor allem wegen dieses einen Kindes und dieses einen schlimmen Vorfalls.
Jon Bauer erzählt eine Geschichte, die zugleich bedrückt und fassungslos macht. Selten liest man ein Buch, das so wenig spannend ist, mit derart angehaltenem Atem! Der namenlose Ich-Erzähler springt dabei zwischen seiner erwachsenen Gegenwart und der Vergangenheit eines siebenjährigen Jungens, der er einmal war. Er geht um menschliche Nähe und Liebe, ganz elementare Themen in einer Familie, die anders war. Der Ich-Erzähler hat sich niemals verstanden gefühlt, musste immer zusehen, wie die Pflegekinder den Vortritt erhielten und in der Liebe seiner Mutter ertränkt wurden, während er diese Liebe kaum zu spüren bekam. Nun, Jahre später, hat er Rachegedanken und will seiner alten Mutter nicht nur Gutes.
„Steine im Bauch“ ist perfekt geschrieben und zieht seine Leserinnen und Leser vom ersten Moment an in seinen Bann. Man muss wissen, was in der Vergangenheit Schlimmes passiert ist und was die Zukunft für das ungleiche Familienpaar bringen wird. Dieser Roman ist vielleicht einer der besten dieses Jahres und sollte Aufmerksamkeit erhalten! Er macht deutlich, wie wichtig Liebe und Anerkennung von Eltern für Kinder ist und welche Auswirkungen ihr Fehlen auf den dann erwachsen gewordenen Menschen haben kann.
Ein grandioses Werk, absolut lesenswert!
Jon Bauer: Steine im Bauch.
Kiepenheuer & Witsch, November 2014.
368 Seiten, Gebundene Ausgabe, 19,99 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Janine Gimbel.