Der schottische Schriftsteller John Niven (Jahrgang 1966) kennt sich aus in der Musikbranche. War er doch selbst Musiker und A&R- (Artists and Repertoire) Manager in einer Plattenfirma. In dem Roman „Kill your friends“ (2008) ließ er schon kein gutes Haar an der Musikindustrie und ihrem Umfeld. Jetzt begegnen wir dem supercoolen Steven Stelfox in „Kill ‘em all“ wieder. Der Wilhelm Heyne Verlag hat John Nivens neuesten Roman in seiner Reihe Heyne Hardcore am 21. Januar 2019 in einer Übersetzung von Stephan Glietsch veröffentlicht.
Es ist das Jahr 2017, Steven Stelfox is back. Mit fast fünfzig genießt er seinen Reichtum und arbeitet hin und wieder als Berater für die Musikindustrie.
James Trellick, CEO der großen amerikanischen Plattenfirma Unigram und ein alter Freund von Stelfox bittet ihn um Hilfe. Der Star des Labels, Lucius du Pre, steht vor dem Ruin. Drogensüchtig und pädophil wird er zum unberechenbaren Risiko für Unigram. Die „cash cow“ liefert nicht mehr und wird außerdem von den Eltern eines Jungen erpresst, den er sexuell missbraucht hat. Dabei wird gerade alles für seine große Comeback-Tour vorbereitet. Eine Veröffentlichung des Erpresservideos wäre ein Desaster.
Aber Stelfox wäre nicht Stelfox hätte er nicht eine Lösung parat. Und die ist natürlich alles andere als konventionell. Da werden Deals verabredet, Entführungen geplant, Insidergeschäfte getätigt und am Ende kommt es für einige Figuren zum dicken Knall. Dabei kann sich Stelfox hundertprozentig auf Terry, den professionellen Ex-Soldaten verlassen, der für ihn die schmutzige Arbeit erledigt. Trotzdem läuft nicht immer alles nach Plan, denn Popstar Lucius du Pre hat seinen eigenen irren Kopf.
Außerdem überrascht Nivens Macho-Protagonist Steven Stelfox die Lesenden, jedoch am meisten wohl sich selbst, mit einer ernsthaften Liebesgeschichte, die auch nicht ohne Folgen bleibt.
John Niven zieht vom Leder. „Kill ‘em all“ ist von der ersten bis zur letzten Seite eine selbstgerechte Tirade, ein zynischer Rundumschlag von Nivens Sprachrohr Steven Stelfox. Er bejubelt Donald Trumps Amtseinführung, er flucht, was das Zeug hält und er stänkert über #MeToo: „Und bei all diesen jungen Dingern,…ist die Botschaft – da bin ich mir ziemlich sicher – noch nicht angekommen. Ich glaube nicht, dass sie den Guardian oder die Washington Post lesen. Denn als Dankeschön für ein paar doppelte Wodkas und die Aussicht auf ein Vorsprechen für einen nicht existierenden Film würden sie einem buchstäblich die Eier durch die Harnröhre saugen und sie in die Backen packen wie ein irres, schwanzlutschendes Eichhörnchen, das sich auf den Winter vorbereitet. #MeToo? Leck mich.“ (S. 381)
Diese Verbalattacken auf die „political correctness“ muss man als Lesende mögen, ich habe mich an vielen Stellen von „Kill ‘em all“ köstlich amüsiert. Nur sind fast 400 Seiten in diesem Stil andererseits auch ein bisschen „too much“.
John Niven schreibt an der Schmerzgrenze des guten Geschmacks und darüber hinaus. Das muss man wissen, wenn man das Buch zur Hand nimmt. Aber spätestens beim Aufblättern der ersten Seiten und dem Lesen des Zitates „Alle Imperien sind aus Feuer und Blut erbaut“ von dem kolumbianischen Drogenboss Pablo Escobar dürfte es bei den Lesenden keinen Zweifel über den Charakter von „Kill ‘em all“ mehr geben.
Für Fans von John Niven und seinen Hardcore-Satiren ist dieser Roman ein Muss. Für alle anderen Geschmackssache.
John Niven: Kill ‚em all.
Heyne Hardcore, Januar 2019.
384 Seiten, Gebundene Ausgabe, 20,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.