Der Autor Jens-Philipp Gründler ist ein Könner auf dem Gebiet der Kurzprosa, wobei er die stillen Töne liebt, heftige Wendungen aber ebenso einsetzt.
Die erste Kurzgeschichte, „Der heilige Name“, erzählt von der Begegnung des Ich-Erzählers mit dem römischen Klerus: „Meine Vorliebe für diese vorzugsweise reptilienartig gealterten, nach Flieder duftenden Greise…“. Sorgfältig beobachtet und mit hintergründiger Komik („Wo hat der Edelmann den Prospekt an sich genommen?“) lässt Gründler es zu der Begegnung mit einer Bettlerin kommen.
In „Hart Island“ begegnet uns ein Thema, das sich durch die meisten Texte begleitet, dem Traum („Luzide Träume waren für Anna Rosensteins Arbeit immer schon eine unbedingte Notwendigkeit gewesen“). Horrorelemente und aktuelle Bezüge (Corona) machen diesen Text für mich zu einem der Highlights des Buches. Die Kurzgeschichte könnte seht gut die Inspiration zu einem Roman sein, Figuren, Setting und Handlung würden auch einen längeren Text tragen.
In „Kindlers Klangcollagen“ scheint, wie anderswo auch, das oft ironisch verwendete Weltwissen des Autors durch. Humorvoll, mit kapriziöser Hauptfigur, wird auf kuriose Weise die Geschichte des Klangkünstlers erzählt.
Oft sind Gründlers Protagonisten Außenseiter, Missverstandene, Künstler und Träumer.
So wird in der titelgebenden Geschichte „Das Schweigen der Gedanken“ von Beat erzählt, der im Todestrakt auf seine Hinrichtung wartet und sich durch Meditation darauf vorbereitet. Ein Mitgefangener erklärt ihm: „Wenn sie dir das Gift geben, ist es längst zu spät, du musst vorher schon gegangen sein.“
„Verloren in Bangkok“ beginnt mit dem für Gründler typischen „seltsamen Gestalten“, auch das Flair des Fremden, Exotischen spielt eine Rolle, gleichzeitig wahre Ereignisse.
In „Der Unmensch“ geht es um einen Mörder und den Journalisten, der seine Geschichte erfahren möchte, und der erste Satz „Getötet hatte Vladimir lange nicht“ bringt uns sofort in das Geschehen hinein.
„Earth People“ bietet uns ein Near Future Szenario, angesiedelt im Jahr 2040. Es gibt Tier-Mensch-Mutationen und die geistigen Nachfahren der FridaysFor Future Generation und Gandhis kämpfen um ihren ökologischen Rückzugsort.
In „Das Leben nach dem Tod beobachtet sich der Protagonist selbst beim Sterben; eine metaphysische Geschichte, die ich aufgrund ihres Endes als Phantastik einordnen würde.
„Die Klinik von Marienthal“ erzählt eine heftige, grausame Geschichte, es geht um Schuldige und Opfer in der Zeit des Nationalsozialismus.
Ähnlich realistisch und aktuell endet der Band mit „Das Pogrom von Strohfeld“, in dem ein Brandanschlag auf ein Flüchtlingsheim geschildert wird.
Man sollte die Texte nicht zu schnell hintereinander lesen, sondern jedem Szenario Raum geben. Gründlers charakteristische Sprache bei aller Unterschiedlichkeit der Inhalte machen diese Sammlung zu einer runden Sache!
Jens-Philipp Gründler: Das Schweigen der Gedanken.
Brot und Spiele Verlag, Oktober 2022.
158 Seiten, gebundene Ausgabe, 19,90 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Corinna Griesbach.