Dr. Willi Kremer-Schillings: Satt und unzufrieden: Bauer Willi und das Dilemma der  Essensmacher

Das Sterben der kleinen Höfe hat sich schon lange zu einer Routine eingestellt. Und dieses Sterben geht weiter, jedes Jahr, jeden Tag, bis nur noch Agrarfabriken übrigbleiben werden. Mit den grünen Kreuzen machten die Landwirte auf ihre existenzgefährdende Situation aufmerksam.

Wer das Dilemma begreifen will, muss die Anfänge sehen. Zum Beispiel bei dem Autoren und Landwirt Dr. Willi Kremer-Schillings. Auf seinem Blog findet man einen Filmbeitrag über Schädlinge an seinen Zuckerrübenpflanzen. Noch vor ein paar Jahren brachte er seine Saat mit einer Ummantelung in den Boden. Diese Schicht vermied die Ausbreitung der Läuse auf den Jungpflanzen. Seit diese Vorbehandlung des Saatgutes verboten ist, sind die Pflanzen ungeschützt. In Frankreich, so berichtet der Autor, seien 80% der Ernte durch die Läuse vernichtet worden. Er zeigt auf die befallenen Flächen seines etwa 2 ha großen Feldes, die wie gelbe Nester im satten Grün aussehen. Würde er seine Pflanzen spritzen, bräuchte er für die gesamte Fläche etwa 180 g eines Schädlingsbekämpfungsmittels. Was soll ein Bauer in so einer Situation machen, gegen Schädlinge spritzen oder auf einen großen Teil seiner Ernte verzichten? Zum Vergleich: 4 bis 5 g von dem gleichen Mittel seien auch in einem Hundehalsband zu finden, erklärt der Autor.

Regelmäßig muss ein Landwirt die Bearbeitung seiner Felder dokumentieren und die Kontrolleure aus der eigenen Tasche bezahlen. Darüber hinaus ändern sich ständig die Regeln der EU für die Bewirtschaftung von Acker- und Landflächen in einer undurchschaubaren Weise. Dies führt zu einem wachsenden Verwaltungsaufwand.

Seine Ernte bringt er zu einer Sammelstelle. Die Preise hierfür legt er jedoch nicht selber fest. Den bestimmen andere, zum Beispiel Börsenhändler, die den internationalen Preis für Terminwarengeschäfte festlegen. Die Preise für Obst, Gemüse, Milch, Eier, Fleisch, Kartoffeln sind ebenfalls nicht verhandelbar. Entweder man nimmt das Angebot der großen Vier (REWE, Edeka, Aldi und Lidl) an oder lehnt es ab. Wer seine verderbliche Ware zu einem guten Preis verkaufen will, braucht einen anderen Vertriebsweg. Darüber hinaus besteht die Gefahr der Auslistung.

Die Investitionen thematisiert der Autor nur am Rande. Ebenso, wenn ein landwirtschaftlicher Betrieb in einer Schuldenspirale landet, die ihn zu Expansionen verleitet. Insgesamt darf man die Situation eines Landwirtes mit oder ohne Universitätsabschluss als bedrohlich bewerten, der mit Preiskriegen, Veränderungen des Klimas und zahlreichen Regeln der EU bis hin zu dem Verlust seines Ansehens in der Gesellschaft alleine gelassen wird. Die Hand, die uns füttert, ist durch die lange, unpersönliche Lieferkette aus dem Fokus des Bürgers geraten.

Denn zwischen den Bauern und den Bürgern befinden sich (internationale) Sammelstellen, Zwischenhändler, Verarbeitungsfabriken und Geschäfte, die uns „Verbraucher“ nennen, weil wir Lebensmittel „verbrauchen“ und teilweise wegwerfen.

In der Lieferkette wird nicht nur die Distanz zwischen Pflanze und Mensch sichtbar. Es fehlt häufig der Bezug zur Natur, wenn Angebot und Nachfrage nicht der natürlichen Erntezeit entspricht. Wer preiswerte und hochwertige Nahrung haben möchte und nicht fragt, wie so etwas herstellbar ist, der wird wenig Verständnis für diverse Abläufe vom Feld bis zum Teller haben. Und wer Fertiggerichte kauft, dem wird die natürliche Geschmacksvielfalt weniger fehlen.

Als Bauer Willi mit seinem Blog www.bauer-willi.com anfing, war er im (Un-) Ruhestand. Er wählte diesen Blognamen, um seine Kinder vor Angriffen in den sozialen Medien zu schützen. Sein Blog ist heute eine Fundgrube an Artikeln, Videoclips, die mit anderen Bauern verlinkt sind. Inzwischen ist er eine Institution. Er kennt die Themen Landwirtschaft (konventionell und bio), Vermarktung, Artenvielfalt, Pestizide, Insektizide, klimabedingten Ausfall der Ernte und vieles mehr aus erster Hand, so dass seine Auslegungen fundiert und glaubwürdig sind. In seinem Buch lässt er viele Fachleute zu Wort kommen, die seine Thesen stützen und ebenfalls nachdenklich machen.

Besonders eindringlich empfand ich das Kapitel 7 zum weiten Feld der Kommunikation, in dem Herr Michael den Fokus auf Reputation legt. Am Ende wird deutlich, warum die Öffentlichkeitsarbeit von Willi Kremer-Schillings nicht den gewünschten Erfolg hat. Dem Autoren geht es um die Existenz der Bauern und die Ernährung der Bürger. Im Gegenzug verfälschen die Medien häufig die Sicht auf den Landwirt. Gegen die unzähligen Kurznachrichten und Kommentare kommen seine ausführlichen Erklärungen einfach nicht an.

An einer anderen Stelle des Buches spricht der Autor von dem ungebremsten Anwachsen der Weltbevölkerung, die essen muss. Irgendwann wird die Agrarwirtschaft an die Grenzen ihrer Kapazität stoßen. Erschwerend kommen Klimaveränderungen, Wassermangel, Hitze, Überschwemmung, Kälteeinbrüche, Stürme, Schädlinge und Kriege hinzu. Bisher hat die globale Agrarwirtschaft erfolgreich immer mehr Nahrung produzieren können. Und je mehr Nahrung produziert wird, um so mehr Menschen werden geboren … Die Spirale, bestehend aus mehr Nahrung und immer mehr Menschen, dürfte – für jeden ersichtlich – kein glückliches Ende nehmen. Das Problem liegt im System.

Am Ende seines in jeder Hinsicht wichtigen und lesenswerten Sachbuches finden sich unzählige Quellen, über die man weitere Informationen und Hintergründe erhält.

Dr. Willi Kremer-Schillings: Satt und unzufrieden: Bauer Willi und das Dilemma der Essensmacher.
WestendVerlag, Januar 2023.
288 Seiten, Klappbroschur, 24,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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