Stefanie Lasthaus: Frau Holles Labyrinth

Mary, unsere Erzählerin, hat eine magische Begabung. Sie kann Schlösser öffnen – ganz ohne Schlüssel oder Dietrich, rein mit der Kraft ihres Talents. Nun ist es in der Welt, in der die junge Frau lebt, nichts wirklich Besonders, über ein magisches Talent zu verfügen. Ihre Tante hat einen grünen Daumen, ihre jüngere Schwester die Gabe, ihr Gegenüber zu bezirzen.

Nachdem sie ihre Gabe aber just, sie ist mal wieder, aber auch so etwas von pleite, in Diensten einer zwielichtigen Kneipenbekanntschaft und damit höchst illegal eingesetzt hat, flieht sie vor der Polizei und ihrem Chef nach Hause. Nur, dass es seit dem Tod ihrer Mutter kein wirkliches Zuhause mehr für sie ist.

Ihre Tante lehnt sie von ganzem Herzen ab, ihre Schwester will eigentlich auch nichts von ihr wissen. Dass das einzige Erinnerungsstück, dass die beiden Kinder an ihre Mutter haben, eine Halskette mit Anhänger, dann in den Brunnen im Garten fallen lässt, ist Karma.

Mary klettert in den Brunnen – und findet sich in einem unterirdischen Labyrinth wieder, in dem die Sonne nicht scheint, in dem die Menschen von den kargen Erträgen des Landes und ohne Strom und Handy mehr vor sich hinvegetieren. Schließlich gibt es da auch noch die Fresser – der Name ist Programm, fallen die Wesen doch gerne Menschen an und knabbern an deren Gliedmaßen.

Ein Ort, an dem die Sonne scheint und es bunte Blumen und herrliche Wiesen gibt, existiert hier – das Anwesen einer gewissen Frau Holle. Hier schlüpft Mary zunächst unter, dient als Zimmermädchen, während sie immer mehr ihrer Erinnerungen verliert.

Als sie im Keller auf Boxen stößt, die mit Namen beschriftet ganz besondere Kekse enthalten, weiß sie, dass sie wegmuss. Isst man die Kekse, erlebt man die gestohlenen, in diesen festgehaltenen Erinnerungen der Person, gleich ob diese noch am Leben ist, oder tot. Kein Wunder, dass Frau Holle sich ausschließlich von diesen Keksen ernährt.

Mary flieht in die Stadt, lernt den Widerstand kennen, dem sich erstaunlicherweise auch ihre Schwester angeschlossen hat und plant, mit diesen, Frau Holle auszuschalten …

Seit einiger Zeit sind moderne Versionen der klassischen Märchen en vogue. Seit Christina Henry mit ihren modernen Nacherzählungen klassischer Stoffe auch bei uns (blanvalet/Penhaligon) für Furore an den Kassen der Buchhandlungen gesorgt hat, suchen die Verlage händeringend nach entsprechenden Werken.

Erinnerung an Stan Nicholls

Das sich hier abzeichnende Bild erinnert mich frappierend an die Situation vor gut 10 Jahren als Stan Nicholls bei Heyne mit seinen Orks einen Sensationserfolg landete. Alle einschlägigen Verlage suchten entsprechenden Nachschub – nachdem der anglo-amerikanische Markt nicht viel hergegeben hatte, die Chance für deutschsprachige Autoren. In der Folge verwöhnten uns Markus Heitz mit seinen Zwergen (Piper), Bernhard Hennen mit Elfen (Heyne), Hardebusch mit Trollen (Heyne) – die Reihe ließe sich problemlos fortsetzen.

Nun also Märchen – auch hier suchen und finden die Verlag entsprechende Werke aus heimischer Fertigung. Hier tut sich für deutschsprachige Autorinnen und Autoren ein Türchen auf, eine Chance ihre Kunst einem größeren Publikum vorzustellen, ja sich vielleicht einen Namen zu machen.

Stefanie Lasthaus hat sich das bekannte Märchen von Frau Holle ausgesucht. Fluchs wird statt einer Spule ein Amulett im Brunnen versenkt und auch Frau Holle taucht auf. Damit ist es dann aber auch genug mit den Reminiszenzen an die Vorbilder, sprich, ab da entwickelt sich Lasthaus´ Roman deutlich anders, als das Märchen.

Anders insoweit, als uns die Verfasserin einen Plot kredenzt, der mich in Vielem an einen modernen Horror-Roman erinnert hat. Das unheimliche Labyrinth, die menschenfressenden Bestien, die Atmosphäre von Unterdrückung und Duckmäusertum, dazu die undurchsichtige Holle und ihre Kekse – da kann es einen schon gruseln.

Unerwartete Abzweigungen

Immer wieder nimmt die Handlung dabei unerwartete Abzweigungen, wobei festzustellen ist, dass unsere Erzählerin zum einen recht starrsinnig und spontan agiert, zum andern keine angenehme Protagonistin darstellt. Immer wieder agiert sie überhastet, manches Mal schlicht dumm, scheitert oft an ihrem eigenen Wesen.

Die Handlung selbst ist interessant aufgezogen, präsentiert uns ein Reich voller Gegensätze, das die Verfasserin mit einigen wenigen, interessanten handlungsrelevanten Figuren bevölkert hat. Der Roman liest sich durchaus flüssig und spannend, ohne dass wir stilistisch gefordert werden. Zu erwähnen noch, dass Heyne dem Roman eine Hardcover-Ausgabe mit illustriertem Buchschnitt gegönnt hat.

Insgesamt also eine moderne, düstere Version des bekannten „Frau Holle sorgt für Schnee“ Märchens, inhaltlich eigene Wege gehend und angesichts der düsteren Vorkommnisse eher dem Horror zuzuordnen, als dem Fantasy-Märchen.

Stefanie Lasthaus: Frau Holles Labyrinth.
Heyne, Dezember 2022.
429 Seiten, gebundene Ausgabe, 18,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Carsten Kuhr.

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