Im Yorkshire der 70er und 80er Jahre hat Miv eine einsame Kindheit. Seit ihr Vater zu einer beruflichen Neuorientierung gezwungen wird und ihre Mutter unter Depressionen leidet, hat sie bei den anderen Kindern an Ansehen verloren. In der Kirche fällt sie einer Mutter auf, die sie zu sich nach Hause einlädt und damit das Leben ihrer Tochter Sharon und Mivs verändert. Die beiden gleichaltrigen Mädchen werden allerbeste Freundinnen. Nun ist Miv nicht mehr allein. Sie kann sich mit ihrer Freundin über alles austauschen. Unter anderem ist der Serienmörder Ripper in Mivs Fokus. Sie kann die Angst vor ihm und die erfolglose Suche der Polizei nach ihm nicht mehr ertragen. Am schlimmsten jedoch ist für sie der Plan ihres Vaters, wegzuziehen, dorthin, wo es sicher ist.
„Was, wenn ihn jemand erwischte?, fragte ich mich, während ich allmählich eindöste. Was, wenn die Morde aufhörten? Und wir hierbleiben könnten? Dann müsste ich Sharon nicht zurücklassen, und wir könnten für immer beste Freundinnen bleiben.“ (S. 23)
Miv beschließt, den Mörder zu finden, und Sharon beschließt, ihrer Freundin zu helfen.
Die Autorin Jennie Godfrey aus Yorkshire scheint ebenso mutig zu sein wie ihre Romanheldin Miv. Denn wer den gutbezahlen Job als Personalleiterin eines großen Unternehmens aufgibt, um den Traum vom Schreiben zu verwirklichen, darf nicht ängstlich sein. Es ist auf jeden Fall traumhaft, wenn das Debüt der Autorin sofort auf Platz der 3 der „Sunday Times-Bestsellerliste“ platziert wird. Dies liegt unter anderem an der wunderschön geschriebenen Geschichte, die vorwiegend die Ich-Erzählerin Miv erzählt.
Miv ist ein kluges, nachdenkliches Mädchen, das schon sehr erwachsen wirkt, auch wenn ihr noch so einige Lebenserfahrungen fehlen. Diese säumen ihre Suche nach dem Serienmörder. Eine Erfahrung bezieht sich auf ihren Klassenkameraden, der klug ist und gern gelesen hat. Inzwischen entwickelt er sich zu einem gewalttätigen, wütenden Menschen, der immer wieder ihre Wege kreuzt.
Im Laufe ihrer Ermittlungen beobachtet Miv viele Erwachsene und macht sich über jeden Notizen, der sich auffällig verhält. So nach und nach erkennt sie, mit welchen Schwierigkeiten Erwachsene im Alltag kämpfen. Ihr Freundeskreis wird größer, nur die Suche nach dem Ripper will ihr nicht gelingen. Die Mädchen begeben sich systematisch in immer größere Gefahren. Dies macht die Lektüre abwechslungsreich, spannend und zugleich kurzweilig.
Auf dem Cover ist ein übersetztes Zitat von der Times abgedruckt, in dem „die herzerwärmende Ode an die heilende Kraft von Freundschaften in dunklen Zeiten“ die Rede ist. Kürzer und besser kann man das Thema des Romans kaum beschreiben. Alle Charaktere brauchen in der einen oder anderen Form freundschaftliche Hilfe, um die Einsamkeit zu durchbrechen oder zum Schutz vor aggressiven Mitmenschen. Die Kombination aus Verbrechen und Erwachsenwerden hat bei Jennie Godfrey eine ausgewogene Mischung gefunden, die mit viel Charme und Herzblut präsentiert wird.
Jennie Godfrey: Unser Buch der seltsamen Dinge
Aus dem Englischen übersetzt von Susanne Keller
dtv, August 2024
464 Seiten, Hardcover, 23,00 Euro
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.