Zwanzig Jahre ist es her, dass die Herrschaft der Auguren, magisch begabter Seher ein jähes, gewaltsames Ende fand. Seitdem stehen die wenigen Begabten, die die Hetzjagd überlebt haben und neu entdeckte Begabte unter der mehr als strengen Kontrolle der Administration. Wer immer seine Gaben ohne Fessel und ohne Bindung durch den vierten Grundsatz außerhalb der wenigen verbliebenen Refugien nutzt, dem werden seine Fähigkeiten gnadenlos und schmerzhaft entrissen.
Davian wird seit einigen Jahren ausgebildet. Allerdings kann er die Essenz immer noch nicht binden und die Prüfung naht bedrohlich. Er büffelt, übt und doch mehr, als dass er anhand einer schwarzen Wolke erkennt, wenn sein Gegenüber lügt, bringt er einfach nicht zustande. Dass diese Fähigkeit des Lesens als Macht der Auguren mit der Todesstrafe verfolgt wird zwingt ihn dazu, seine Kräfte zu verleugnen. Ihm droht die Blockierung aller magischen Kräfte – er würde zu einem der rechtlosen Schatten. Angestiftet durch einen wandernden Ältesten fliehen er und sein Freund Werr gen Norden. Hier bröckelt die seit Jahrhunderten festgefügte magische Grenze, erste dämonische Wesen wurden gesichtet und nur die Macht eines Auguren könnte die drohende Gefahr der Invasion vielleicht aufhalten …
James Islington nennt als Vorbilder Raymond Feist und Patrick Rothfuss. Mit diesen hat er die Latte, an der er zu messen ist, reichlich hoch angelegt. Reisst er sie, oder erreicht er die Vorbilder, das war die Frage, die mich umtrieb, als ich die Lektüre des auch vom Verlag hochgelobten Erstlingswerks begann.
Beginnen wir mit dem Plot – der Autor erzählt uns eine Mär von einem jungen Begabten, der ohne es selbst eigentlich zu wollen und verfolgt von den Autoritäten auszieht, die Welt vor einer immensen Bedrohung zu retten. Das ist inhaltlich nicht unbedingt neu, sondern eher wohl erprobt, bietet dem Verfasser aber viele Anknüpfungspunkte, an denen er vom Bekannten abweichen und eigene Pfade beschreiten kann. Es gibt mannigfaltige Geheimnisse, erst nach und nach wird das Ausmass der drohenden Gefahr deutlich, die Gruppe der Unterstützer findet sich, ein Jeder davon hat sein eigenes Mysterium.
Das hört sich jetzt ein wenig despektierlich an, ist aber nicht so gemeint. Tatsächlich baut der Autor seine Welt sorgsam und detailreich auf, offenbart immer neue Details, Wesenszüge und Eigenheiten sowohl der Schauplätze, als auch der Figuren. Allerdings wurde ich nicht ganz so in die Handlung hineingezogen, wie bei den vorgenannten Kollegen Feist oder Rothfuss, fordert der etwas gemächliche Beginn, die sorgfältige und umfangreiche Beschreibung der Welt, doch ihren Tribut was den Lesefluss anbelangt. Ernst ab dem zweiten Drittel nimmt der Plot dann richtig Fahrt auf, geht es hinein ins Abenteuer.
Stilistisch unauffällig, von Ruggero Leò versiert ins Deutsche übertragen, punktet der Autor insbesondere mit seiner sehr detailreich ausgearbeiteten Welt, deren Historie und dem sich abzeichnenden Konflikt.
Den Leser erwartet, nach einem etwas langatmigen Beginn, eine gelungene High-Fantasy Queste, viel Buch fürs Geld, jede Menge Abenteuer und markante Gestalten.
James Islington: Die Licanius-Saga 01: Das Erbe der Seher.
Knaur, Mai 2017.
784 Seiten, Taschenbuch, 16,99 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Carsten Kuhr.