Der Fall Darling ist in London ein Medienereignis, bei dem die Sensationsgier der Berichterstatter reichlich Nahrung erhält: Ein dreifacher Mord, ein Feuer, das ein luxuriöses Anwesen bis auf die Grundmauern zerstört und ein Überlebender, den die Polizei für den Täter hält. Es ist ein Fall, der das Renommee eines jeden Strafverteidigers nach oben schnellen lässt. Und wäre der Verteidiger von Wade Darling nicht kurz vor der Eröffnung der Verhandlung gestorben, hätte Neve Harper diesen Fall als Zaungast verfolgt. Aber jetzt ist alles anders. Sie soll Wade Darling verteidigen. Und für die Vorbereitung hat sie nur wenige Tage Zeit. Anfangs glaubt Neve, nach diesem Fall könne sie ihre Karriere mit dem Titel Kronanwältin zieren. „Ich erinnere mich, wie stolz ich war … An all meine jugendliche Hoffnung für die Zukunft. …Mein Glaube an richtig und falsch war so konzentriert, so unantastbar.“ (S. 277)
Der erste Rausch und das erste Glücksgefühl verpuffen, als sie am ersten Abend nach der Mandatsübernahme von einem brutalen Mann erpresst wird. Es gibt für sie keine Gnade, kein Erbarmen – nur den Zwang bestmöglich im Sinne des Erpressers zu funktionieren.
„… Ich kann mich nicht an die Polizei wenden und um Hilfe bitten. Ich kann die Forderungen des Boten nicht ignorieren; er hat den Anwalt vor mir getötet, der das versucht hat.“ (S. 106)
Der Autor Jack Jordan hat sich inzwischen den Titel Meister des moralischen Dilemmas erworben. In seinen kurzweiligen Thrillern geht es nicht nur um maximale Spannung und überraschende Wendungen. In seinem aktuellen Buch Die Schlafwandlerin schickt er die Anwältin Neve Harper in die Hölle, ohne dass es für sie ein Rückfahrticket gibt. Diese Ausweglosigkeit macht ihr zu schaffen. Natürlich hat sie Schuld auf sich geladen, die kaum auszuhalten ist. Sie hat sie zeitweise mit Arbeitswut ausgeblendet. Doch nun ist diese Schuld ständig präsent. Sie hat so große Angst vor der drohenden Bloßstellung, dass sie wieder nachts schlafwandelt.
„Wenn Ihnen jemand sagt, Sie sollen an etwas nicht denken, woran denken Sie dann sofort? Genauso ist es mit dem Schlafwandeln. Man nimmt sich vor, dass man es nicht tun wird, redet sich ein, man hätte die Kontrolle. Und dann wacht man im Kalten, im Dunkeln, weit weg vom eigenen Bett auf, ohne zu wissen, wie man dorthin gekommen ist oder was man getan hat.“ (S. 120)
Neve verliert die Kontrolle über ihre Nächte und wie es gerade aussieht auch über die Tage. Im Laufe der nächsten zehn Tagen muss sie extrem schwere Entscheidungen treffen, die gleichzeitig das Leben einiger Menschen in Gefahr bringt. Dies lesend zu verfolgen, ist nicht nur sehr kurzweilig. Man begleitet Neve auf ihrem Weg von einem Albtraum in den nächsten und in den nächsten und den nächsten, bis die Ausweglosigkeit kaum noch zu ertragen ist.
Jack Jordan: Die Schlafwandlerin
Aus dem Englischen übersetzt von Sigrun Zühlke
Droemer eBook, Januar 2025
400 Seiten, Taschenbuch, 16,99 Euro
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.