Ich kann sie so gut verstehen. Irgendwann kommt der Zeitpunkt im Leben, an dem man sich fragt: Und das war‘s? So geht das immer weiter? Ildiko von Kürthy hat sich ein Jahr Zeit genommen für den Versuch herauszufinden, was es denn noch geben könnte. Sie versucht es im Schweigekloster, beim Survival-Training in der Wildnis und sie versucht, ein ganz anderer Mensch zu werden. Das fand ich am krassesten. Von der normalen brünetten Frau wollte sie sich mit Hilfe fast all dessen, was die moderne Industrie zu bieten hat, in eine dünne, langhaarige Blondine verwandeln. Und sie hat es durchgezogen. Und dabei hat sie dann auch endlich sich selbst gefunden – und sie selbst ist nicht dünn und blond. Das war die wohl wichtigeste Erkenntnis dieses Jahres: Sein Leben lang wünscht man sich irgendwie zu sein und dann zieht man es durch und stellt fest: So hab ich mir das nicht vorgestellt.
Vielen Dank für die Erkenntnis, dass hübsch sein ein Fulltime-Job ist und das es erlaubt sein muss, den Preis dafür nicht bezahlen zu wollen. Helle Extentions mögen eine feine Sache sein. Wenn man bereit ist, dafür seine auswärtigen Termine nur noch mit den freien Terminen seines Frisörs abzustimmen und den Rest des Lebens mit einem Handtuch über dem Kopf oder als freilaufender Wischmob zu verbringen. Schön sein kostet Zeit, erfordert Investitionen und Einschnitte und nicht alle sind bereit, ein Buch liegen zu lassen, um sich die Haare zu machen. Oder Zeit, die man mit guter Musik verbringen könnte, unter der Bräunungsdusche zu verschwenden. So ist das Buch ein bisschen auch ein Apell, herauszufinden, was einem im Leben wirklich wichtig ist, was man dafür tun muss und sich dann noch mal die Frage zu stellen, ob es denn soooo wichtig ist.
Ein tolles Buch, super geschrieben und sehr erhellend.
Ildiko von Kürthy : Neuland: Wie ich mich selber suchte und jemand ganz anderen fand.
Wunderlich, Dezember 2015.
400 Seiten, Gebundene Ausgabe, 19,95 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Regina Lindemann.