Nach längerer Pause ist Benedict Wells neuer Roman „Vom Ende der Einsamkeit“ erschienen.
Dass er das Handwerk der Erzählkunst bestens beherrscht, hat der Autor bereits bewiesen.
Mit „Vom Ende der Einsamkeit“ ist ihm eine wunderbar einfühlsame Geschichte gelungen, die seine vorangegangenen Bücher noch toppt! Aus den Zeilen spricht so viel Lebensweisheit, die für einen so jungen Autor erstaunlich ist.
Jules reflektiert seine Lebensstationen als er nach einem Motorradunfall im Krankenhaus liegt.
Nach dem frühen Tod seiner Eltern leben er und seine beiden älteren Geschwister Liz und Marty fortan in einem Internat. Alles ist nun anders geworden. Die Geschwister entfremden sich durch die räumliche Trennung in unterschiedlichen Gebäudekomplexen des Internats. Jeder muss allein mit dem Verlust und der Veränderung zurechtkommen.
Aus dem draufgängerischen kleinen Jules, der zuvor über einen glitschigen Baumstamm über einem Abgrund balancieren konnte, entwickelt sich ein verzagter Junge.
Alva, das rothaarige Mädchen mit den grünen Augen freundet sich mit ihm an und wird zur Begleiterin und Freundin durch seine Jugend- und Internatsjahre. Nach dem Abitur trennen sich die Wege der beiden.
Wie sehr er Alva vermisst und welche Bedeutung sie für ihn hatte, wird Jules im Lauf der nachfolgenden Zeit ständig bewusst.
Als junge Erwachsene finden die Geschwister wieder einen Zugang zueinander und nach vielen Jahren gibt es für Jules auch eine erneute Begegnung mit Alva. Nochmals nimmt Jules‘ Leben eine Wende.
Über all die Jahre kehren Jules‘ Gedanken immer wieder zu den Eltern in die Vergangenheit zurück: Zu der Unbeschwertheit glücklicher Kindertage innerhalb der ehemals intakten Familie. Zu der schönen Mutter und der Musik, die sie gern hört. Zum Vater, zu dem er irgendwann den Zugang verliert, weil er zu jung ist, um dessen wohlmeinende Ratschläge richtig zu verstehen. Zu Liz und Marty mit ihren unterschiedlichen Charakteren.
Was wäre aus ihm und seinen Geschwistern geworden, wenn ihre Leben durch den Verlust der Eltern nicht diese unerwartete Wendung genommen hätte? Wie wäre seine eigene und die so ganz anders verlaufende Lebensgestaltung seiner Geschwister verlaufen, wenn sie zusammen an einem anderen Ort, vielleicht in Frankreich, wo die Großmutter gelebt hatte, aufgewachsen wären?
Immer wieder fragt Jules sich, wie sehr er selbst durch Ereignisse aus seiner Kindheit und Jugend beeinflusst wurde.
Viele Jahre später ist Jules an seinen Schicksalsschlägen gewachsen. Er kann jetzt akzeptieren, dass Dinge kommen und gehen. Er weiß, dass er selbst für sein Leben und was er daraus macht und gemacht hat, verantwortlich ist. Ob er es zulässt, dass die Vergangenheit sein Leben beeinflusst oder sich dem entgegenstellt, entscheidet allein er selbst.
Der Lebensweg des Protagonisten hält viele traurige Ereignisse und anrührende Momente bereit, aber bei allen Widrigkeiten bietet er immer wieder Lichtmomente die aufmuntern, beruhigen und zu tragenden Säulen werden.
Ein schönes Buch, das man nur ungern aus den Händen legt.
Benedict Wells: Vom Ende der Einsamkeit.
Diogenes, Februar 2016.
368 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Annegret Glock.