Dieses Buch besteht nur aus Briefen, in denen zwölf Mitglieder einer Familie miteinander kommunizieren. Der Briefkontakt erstreckt sich über drei Generationen. Um hier den Überblick nicht zu verlieren, ist der Stammbaum am Romanende hilfreich.
Ein weiterer Briefschreiber ist der Psychiater Yuri, der diesen ungewöhnlichen Austausch überhaupt erst ins Rollen gebracht hat. Yuri hat seinem Patienten Boris, um dessen Befindlichkeit sich alles dreht, nahegelegt, endlich wieder mit seinen Eltern in Kontakt zu treten.
Sieben lange Jahre hatte Boris die Verbindung zu seinen Eltern, Geschwistern und der restlichen Verwandtschaft abgebrochen. Boris war damals verzweifelt gewesen. Es gab Interessenkonflikte und verletzte Eitelkeiten, stets fühlte er sich ungerecht behandelt. Nun, als er vor einem erneuten innerfamiliären Trümmerhaufen steht – diesmal geht es um Konflikte mit seiner Frau und seinen Kindern, steht es nicht gut um seine Gemütsverfassung. Um seinen depressiven Gedanken entgegenzuwirken, hat Yuri, zu dem Boris sich in Behandlung begeben hat, die Kontaktaufnahme in Briefform vorgeschlagen und Boris folgt dem Rat seines Psychiaters.
Der gesamte schriftliche Austausch findet in handschriftlicher Form statt. SMS oder E-Mails sollen nach Vorgabe des Psychiaters nicht verwendet werden, woran sich Boris und die anderen Familienmitglieder halten. Nicht alle Mitglieder der Familie lassen sich auf diesen Austausch ein, aber was die Schreibenden thematisieren, lässt beim Lesen die Geschichte über eine Familie entstehen. So liest man über die jeweiligen Rollen innerhalb der Familie und versteht mit dem Blick von Außen, warum sich manche Konstellation ausgerechnet so und nicht anders entwickelt hat. Ganz offen wird über unterschiedliche Lebensmodelle, kontroverse Wünsche, Erwartungen, Ziele, Wahrnehmungen, Sichtweisen und Gemütszustände kommuniziert. Längst Vergangenes wird wieder aufgewärmt und mit dem Abstand der Jahre wird so manches Verhalten nachvollziehbar. Ungereimtheiten, Kränkungen, Verletzungen, aber auch glückliche Momente sind aus den jeweils verschiedenen Perspektiven aufgezeigt. Endlich kommt zur Sprache, was sonst wohl keiner jemals ausgesprochen hätte und offensichtlich fällt es viel leichter, sich schriftlich auszutauschen, als darüber zu reden.
Der Autor Gérard Salem ist renommierter Psychiater. So lag es für ihn sicher nahe, die Verstrickungen und Ungereimtheiten innerhalb einer Familie mit den jeweiligen mentalen Befindlichkeiten und Betrachtungsweisen seiner Figuren aus Sicht jedes Einzelnen in dieser Briefform aufzuzeigen, was gleichzeitig Tiefe vermittelt.
Gérard Salem: Du wirst an dem Tag erwachsen, an dem du deinen Eltern verzeihst.
DuMont Buchverlag, April 2019.
206 Seiten, Gebundene Ausgabe, 20,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Annegret Glock.
Frage, Gibt es diesen Roman auch auf Niederländisch?
Über eine Antwort würde ich mich sehr freuen.
Christian Hildebrandt
Das ist uns leider nicht bekannt, Herr Hildebrandt.