G.D. Adson: Blutrot ist das Schweigen

Es ist einfach, ein korruptes System zu tolerieren, wenn man unbehelligt durch den Alltag kommt. Kleine Fische schwimmen zu ihrem Schutz in Schwärmen, auch wenn Raubfische regelmäßig einen der ihren fressen.

In einem Schwarm, in dem russische Polizisten ihren Dienst verrichten, arbeitet Hauptmann Natalja Iwanowa. In Sankt Petersburg verfolgt sie in einer untergeordneten Abteilung Kapitalverbrechen. Hier ist sie aufgrund ihrer hohen Aufklärungsrate, Ehrlichkeit und Unbestechlichkeit der Vorzeigefisch. Jeder Außenstehende soll an mit Blick auf Natalja an Verhältnisse im Polizeiapparat glauben, die besser sind als ihr Ruf.

Als eine politische Aktivistin im eiskalten Januar neben einem Straßengraben, halb vom Schnee verborgen, zufällig von einem urinierenden Polizisten gefunden wird, hat Natalja die Order, politische Mitstreiter als Hauptverdächtige zu überführen. Wie gewohnt beginnt sie die Ermittlungsarbeit in den Augen ihres Vorgesetzten völlig falsch, also viel zu gründlich. Und wieder deckt sie Ungereimtheiten auf, die in eine andere Richtung zeigen.

Viel zu schnell wird der Fall der nächsten Instanz übergeben, die ihn politisch lösen sollen. Das übliche Procedere vor der Ablage beginnt: In den Zeitungen wird die Ermordete als drogensüchtige Prostituierte beschrieben, die Opfer ihrer Lebensumstände sei.

Natalia fragt sich, wie der zweijährige Sohn der Ermordeten seine Mutter in Erinnerung behalten wird und wie sie dem Opfer Gerechtigkeit verschaffen kann. Heimlich führt sie ihre eigenen Ermittlungen fort, durch die sie viele aufschreckt und gleichzeitig nicht nur die Karriere ihres Mannes und ihre eigene in Gefahr bringt.

Der Autor G. D. Abson studierte in Großbritannien unter anderem Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Russland. Heute arbeitet er als Business-Analyst und schreibt nebenbei spannende Kriminalromane, in denen  eine ehrliche Kriminalkommissarin Verbrecher jagt. Natalja sorgt für ein wenig Ordnung in der großen Unordnung. Mit Fingerspitzengefühl und Allianzen kämpft sie für Gerechtigkeit.

Das Genre Kriminalroman eignet sich besonders gut, um das russische System der Vetternwirtschaft zu kritisieren, auch wenn nur fiktive Ermittler fiktive Täter suchen. Die Arbeit der Ermittler scheint genauso unmöglich zu sein wie die Suche nach einem bestimmten Prianha. Aus diesem Grund sprechen Nataljas Mitstreiter Klartext. Einer von ihnen ist der alkoholsüchtige Sergeant Rogow, der sie fragt, wie man seine Arbeit als Polizist erledigen könne, wenn Verbrecher das Land regieren. Es dürfte kein Zufall sein, dass die Tote ausgerechnet in der Nähe des größten Massengrabes des Landes aufgefunden wird, wo in den Wäldern zahlreiche Luxusvillen, vor neugierigen Augen verborgen, von Eliteeinheiten bewacht werden. Hier sucht Natalja nach der Wahrheit mit dem Wissen, entweder eine Sackgasse zu finden oder in einem Minenfeld zu landen. Hieraus baut der Autor enorm viel Spannung auf. Politisch Interessierte bekommen bei dieser packenden Lektüre noch eine extra Portion Grusel und verspüren eine Neugier – falls noch nicht gestillt – auf Nataljas ersten Fall.

Die Übersetzung aus dem Englischen schrieb Kristof Kurz.

G.D. Adson: Blutrot ist das Schweigen.
Aus dem Englischen übersetzt von Kristof Kurz.
Rowohlt, August 2022.
432 Seiten, Taschenbuch, 13,00  Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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