Wenn der Soldat Arnold Wächter mitten im Ersten Weltkrieg im Dreck liegt, die Kameraden um ihn herum im Minutentakt sterben und das eigene Überleben vielleicht nur noch die Dauer weniger Momente erlaubt, dann erinnert er sich an das Schöne in Paris und an die Eine, die seinen Weg kreuzte.
Schönheit und Vergänglichkeit säumen den Weg des Intellektuellen Arnold Wächter in der Pariser Romanze von Franz Hessel, die erstmalig 1920 veröffentlicht wurde. Wächter hat eine Idee, wie Schönheit von Dauer sein könnte.
„… Ich sehe wohl, wie das Alte um mich her verfällt. … Und die Bausteine, die andere anschleppen, kommen mir vor wie aus Pappe. – Aber du bist schön, und das ist ein Verdienst und eine Aufgabe. Vielleicht wirst du so werden, dass die Menschen, die um dich leben, schönere Häuser bauen müssen … und … Wege und Gärten für dich bereiten … Dein Lächeln macht mir Hoffnung auf eine lebendige Zeit.“ (S. 100/101)
An seine Zeit in Paris erinnert sich Arnold Wächter, während er seinem besten Freund Claude einen langen Brief schreibt. Dieser Brief des Deutschen an einen Franzosen führt die vollständige Zerstörung vor Augen, in der mehr als nur Gebäude und Menschen zerschossen werden. Die Bindung der Menschen untereinander und ihre Kultur finden im Krieg kaum noch eine Berechtigung, wenn alles einem politischen Ziel geopfert wird.
Auf einem Kinderball lernt Arnold seine Lotte kennen. Die junge Deutsche wurde von der Mutter im Frühjahr 1914 zu einer Freundin nach Paris geschickt, um Französisch zu lernen. Natürlich will Lotte auch das andere, nicht für Touristen aufpolierte Paris sehen. Mit der Erlaubnis ihrer Wirtin zeigt Arnold der schönen Landsmännin das wahre Paris, in dem unterschiedliche Kulturen und Lebensformen pulsieren. Bei diesen Gelegenheiten entwickelt er für Lotte tiefe Gefühle, die unweigerlich seinen Tagesablauf verändern. Aber auch in seinem Bekanntenkreis erkennt er ähnliche Regungen. Alle ohne Ausnahme, auch Maler und Dichter finden an Lottes Schönheit und ihrer frischen, ungekünstelten Art Gefallen. Schneller, als Arnold planen kann, ist Lotte im Pariser Nachtleben angekommen und lernt nun selbst Freunde und deren Verfehlungen kennen.
Franz Hessel (1880 – 1941) verließ 1906 München, um in Paris sein Glück zu suchen. Vermutlich ging es ihm wie Arnold Wächter, der »als Fremder am Rand des Lebens« lebte und Paris mit seiner Architektur, dem künstlerischen Leben in seiner Vielfalt liebte. Franz Hessels eigene Vielfältigkeit zeigt sich in seinem beruflichen Werdegang, zum Beispiel als Erzähler/Dichter, Lektor, Literaturkritiker, Feuilletonist und Herausgeber. Vor 1933 galt er ein Jahrzehnt lang als Institution im literarischen Berlin.
Manfred Flügge schreibt in seinem Nachwort: „Bei jedem Wiederlesen verliebt man sich neu in die Prosa mit ihrer feinen Mischung aus Andeutung und Genauigkeit, ihrem kunstvollen Geflecht aus leichthin Assoziiertem, Erinnertem, scheinbar Oberflächlichem und sehr präzisen Beobachtungen und Beschreibungen, garniert mit theaterhaft intensiven Dialogen.“ (S. 115) Die wie immer wunderbar gestalteten Bücher im Lilienfeld Verlag laden auch optisch zum wiederholten Lesegenuss ein.
Franz Hessel: Pariser Romanze (1920).
Lilienfeld Verlag, Oktober 2019.
144 Seiten, Gebundene Ausgabe, 18,90 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.