Oft kopiert, nie erreicht: Englische Exzentrik – wer liebt sie nicht? Autor Evelyn Waugh ist der ungekrönte Meister dieser Königsdisziplin. Kein anderer versteht es, fiese Ränke, große Allüren und kuriose Paarungen der englischen Upperclass in derart treffsichere Pointen zu packen. Waugh ist ein brillanter Beobachter. Denn der Teufel steckt im Detail. Jede Szene verkörpert hier großes Kino, ob sie nun in prächtigen Landhäusern, Londoner Stadtwohnungen oder in den Kolonien des Empire spielt. Diese Sammlung hat das Prädikat „Meistererzählungen“ wahrhaftig verdient.
Zwischen Tanztee und Tennisturnier ist die Welt nicht in Ordnung. Die britische Upperclass hat in den 20er bis 50er Jahren mit ganz eigenen Problemen zu kämpfen. In den Eliteinternaten erproben sich Gleichaltrige in Machtspielchen, auf einer ostafrikanischen Kolonialinsel buhlen sieben Junggesellen um die Tochter eines Ölmagnaten, der einzig unverheirateten Weißen weit und breit. Ein gehörnter Ehemann sucht das große Abenteuer im Amazonasgebiet, auf einer Luxuskreuzfahrt wird sich eifrig ver- und entlobt. Einen großen Gefallen findet Waugh an Irren aller Art, sei es in der Heilanstalt oder im Filmbusiness, seien es kriegstraumatisierte Ex-Soldaten oder größenwahnsinnige Schoßhündchen. Dabei haben viele Geschichten einen ernsten Hintergrund, zum Beispiel durch die Thematik der beiden Weltkriege. Diese präsentiert Waugh umhüllt von einer „Clotted Creme“ aus Ironie, Scharfsinn und Sprachgeschick. Hinter der Humorgewalt brodeln subtile Botschaften. Nicht selten bleibt der Schluss offen oder mehrdeutig. Der Anfang ist ausnahmslos genial geraten.
Im Jahr 2007 hat die Initiative Deutsche Sprache gemeinsam mit der Stiftung Lesen einen Wettbewerb um den „besten ersten Satz“ in Büchern veranstaltet. Günter Grass hat ihn gewonnen, wohl auch, weil er auf deutschsprachige Literatur beschränkt war. Gegen Waugh hätten die meisten Preisträger den Kürzeren gezogen. Praktisch jede seiner 15 Meistererzählungen beginnt mit einem vollkommenen ersten Satz. „Die Hochzeit von Tom Watch und Angela Trench-Troubridge dürfte eines der unbedeutendsten Ereignisse seit Menschengedenken sein.“ Ein klassischer Waugh! Oder: „John Verney heiratete Elisabeth 1938, aber erst im Winter 1945 war er so weit, dass er sie durchgängig und von Herzen hasste.“
Wie sich aus den Beispielen ersehen lässt, bilden zwischenmenschliche Beziehungen und deren innewohnende Tragik ein wesentliches Thema in der Prosa des Autors. Es handeln viele Frauen, welche klüger, gerissener und sexuell umtriebiger sind als ihre Männer. Oft agieren die Protagonistinnen aus zweiter Reihe, schlagen aber im entscheidenden Moment zu. Eine junge Frau brennt mit ihrem geheimen Liebhaber durch und ergattert zuvor dank einer List ein ordentliches Sümmchen an „Aussteuer“. Eine frisch vermählte Braut verbringt die besten Flitterwochen ihres Lebens, ohne Mann. Eine Drehbuchautorin verknüpft aus Zeitnot ihre Arbeit mit einer Affäre. Waugh plaudert wohl ein wenig aus dem Nähkästchen. Seine erste Ehe mit Evelyn (!) Gardner endete aufgrund der vielen Seitensprünge seiner Frau, die vor ihrer Heirat bereits neun Mal verlobt war und in den 20er Jahren mit einer Freundin eine WG gründete. Damals ein Skandal, der sogar in der Presse landete. Was jedoch Waughs große Klasse ausmacht: Er nimmt bei Beziehungsgeschichten keine verbitterte Perspektive ein, indem er Opferrollen zuschreibt. Wer hier warum am längeren Hebel sitzt, erschließt sich erst im Verlauf der Handlung. Auf das hochnäsige Riechorgan fallen Vertreter beiderlei Geschlechts.
Evelyn Waugh ist aktueller denn je. Seine Erzählungen haben nichts an Humor und Raffinesse eingebüßt. Im Gegenteil: Sie heute zu lesen, macht sogar noch mehr Spaß! Ganz einfach, weil sie bisweilen politisch völlig unkorrekt sind. Auf eine geistreiche, nonchalante Art. Wer sonst könnte über eine Zukunft mit Euthanasie-Tourismus berichten, wenn nicht Waugh?
Ob Homosexualität, der Verlust der Jungfräulichkeit oder sanftmütige Serienkiller – gewohnt schwarzhumorig wagt sich Evelyn Waugh an jedes Thema. Nicht umsonst nennt ihn T. C. Boyle, einer der modernen Großmeister bitterböser Spitzen, als Vorbild.
Fazit: Kaufen! Lesen! Sich bestens amüsieren!
Evelyn Waugh: Ausflug ins wirkliche Leben.
Diogenes, Mai 2018.
384 Seiten, Taschenbuch, 13,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.
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