Als Kardinal Mazarin, der die Geschicke Frankreichs auf Jahrzehnte hinaus bestimmt hatte, im März des Jahres 1661 stirbt, ist die Zeit für Louis XIV gekommen. Als Kindkönig stand er bis dahin ganz im Schatten des übermächtige Kardinals, jetzt will er Paris, ja der Welt seinen Stempel aufdrücken. Seine Vermählung mit einer Spanierin soll für Ruhe an der Süd-Westlichen Flanke seines Reiches sorgen, die Hochzeit seines Bruders mit der Schwester des Königs von England die Bedrohung aus dem Norden bannen. Dass der König höchstselbst über magische Fähigkeiten verfügt, soll ihm helfen, seine Pläne in die Tat umzusetzen. Wie alle Magier des Reiches aber benötigt auch er, um seine Magie zu wirken, eine menschlichen Quelle. Quellen sind rar, zumal in letzter Zeit, da ein Mörder Paris in Angst und Schrecken versetzt und Quellen aus allen Schichten jagt und meuchelt.
Die 17-jährige Henriette D’Angleterre wuchs behütet zusammen mit ihrer Mutter im Kloster auf. Als Schwester des Englischen Königs ist sie eine gute Partie, wird sie als politisches Pfund heiraten müssen. Dass ihr Gatte, immerhin der jüngere Bruder Louis XIV, sich so gar nicht für seine Angetraute interessiert führt dazu, dass ihr Leben langweilig, ihre Position bei Hofe geschwächt und sie selbst zum Ziel politischer Ränke wird. Bis sie bei einem Reitunfall, bei dem sich der König schwer verletzt, diesem offenbart, dass ausgerechnet sie eine Quelle für dessen Magie ist. Ab da ändert sich ihr Leben radikal, zumal Henriette Gefühle für einen verheirateten Mann entwickelt, der nicht der ihre ist …
Normalerweise liegen mir Romane, in denen die Verfasserin bzw. der Autor das Augenmerk mehr auf die großen Gefühle ihrer Protagonisten legen, sprich, die Romantik im Vordergrund steht, wenig.
Vorliegend aber nahm mich die Zeit, in der Castellan ihren Plot abgesiedelt hat, gefangen. Der Hof des Sonnenkönigs, der Bau von Versailles, eine historische Ära, die Frankreich, die Europa prägte, hat mich schon immer interessiert. Allerdings hat das Bühnenbild, das uns die Autorin präsentiert wenig mit der Lebenswirklichkeit in der Zeit und am Hof Louis XIV zu tun. Von der allgemeinen Hungersnot, den erdrückenden Steuern die die Bürger gegen die Adeligen aufbrachte, findet sich im Roman ebenso wenig etwas wieder, wie von den tatsächlichen Zuständen am Hof. Nichts davon, dass sich die Adeligen regelmäßig in jede Zimmerecke entleerten und die Diener die Verdauungs-Überbleibsel dann entsorgen durften, nichts von der Frivolität unter den Adeligen bei denen die Damen regelmäßig ihre ausladenden Roben lupften und die Herren sich an den Dienerinnen vergingen – hier präsentiert uns Castellan eine sehr weichgespülte Version der historischen Zustände. Mag sein, dass sie der Zielgruppe von jugendlichen Lesenden dies nicht zumuten wollte, sei es, dass sie hier zu wenig recherchiert hat, uns erwartet ein letztlich verklärtes Bild der Wirklichkeit.
Als Pfund wuchert sie dagegen mit einer interessant gezeichneten, den Plot dominierenden Hauptfigur und jeder Menge großer Gefühle. Nicht zu vergessen, ein recht eigenes Magiesystem mit Quellen und Magier, die jeweils voneinander abhängig sind. Das war in seiner Ausprägung interessant, das brachte in Intrigen unter den Adeligen die notwenige Spannung ins Buch und unterhielt mittels der munteren Dialoge. So bleibt mir zumindest ein etwas zwiespältiger Eindruck. Zum Einen, ein angenehm flüssig zu lesender Roman um eine geschichtlich interessante Ära angereichert durch Magie, zum Anderen hätte die Darstellung der Lebensumstände der Menschen damals etwas realistischer ausfallen können.
E.M. Castellan: Im Schatten des Sonnenkönigs 01: Die Gabe.
Aus dem Englischen übersetzt von Barbara Imgrund.
cbt, Juli 2021.
416 Seiten, Taschenbuch, 13,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Carsten Kuhr.